Guntram von Schenck

15. Kapitel, Oktober 2015

Botschaft Damaskus/Syrien (1982-1985)

Vorspann: Die Fassung der 1. Auflage der Autobiographie stammt von 2010. Beim Schreiben der 2. erweiterten Auflage, knapp fünf Jahre später, hat der Bürgerkrieg die Lage in Syrien dramatisch verändert. Die jeweilige Gegenwart prägt unsere Sichtweise auf Vergangenes, davon kann man sich nicht frei machen. Wir können heute, 2015, die Bilder der Zerstörungen in Syrien nicht ausklammern und so tun, als gäbe es die Flüchtlinge aus dem Nahen Osten nicht, die Deutschland und Europa vor eine der größten Bewährungs- und Zerreißproben stellen.
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Im Frühjahr 1982 traf ich in Damaskus ein. Gerhard Jahn, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, hatte - wenn nicht im Auftrag, so doch mit Zustimmung des SPD-Fraktionsvorsitzenden Herbert Wehner - meine auf drei Jahre befristete Übernahme ins Auswärtige Amt (AA) als Kultur- und Pressereferent der Botschaft Damaskus unterstützt.
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Der Prophet Mohammed hatte Damaskus nie betreten, weil er befürchtete - so die Legende - er verwechsle Damaskus mit dem Paradies, was gegenüber Allah eine sündhafte Gotteslästerung gewesen wäre. Das traf auf mich nicht zu. Mit der Ankunft in Damaskus bekam ich sofort einen Vorgeschmack auf Entwicklungen, die die arabisch-islamische Welt in den kommenden Jahrzehnten heimsuchen sollten. Sie widersprachen der Vorstellung vom Paradies diametral.


Aufstand der Moslembrüder in Hama

Der Aufstand der Moslembrüder in Hama lag bei meiner Ankunft in Damaskus erst wenige Wochen zurück. Das alawitische Minderheitenregime von Hafiz-al-Assad (1970-2000) hatte die Anhänger der aufständischen sunnitischen Moslembruderschaft in der mittelsyrischen Stadt Hama sich sammeln lassen und als sie in der Falle saßen, die Stadt isoliert, eingeschlossen und in einer monatelangen Belagerung durch regimetreue alawitische Militärverbände mit konzentriertem Artilleriebeschuss komplett zerstört. Die Überlebenden wurden niedergemacht. Westliche Beobachter in Damaskus schätzten die Zahl der Toten auf zwanzig - bis dreißigtausend. Noch Monate danach war die Durchfahrt durch Hama gesperrt. Als sie wieder frei gegeben wurde, sah man ein unübersichtliches Feld schwarzer Trümmer. Lediglich die Wahrzeichen Hamas, die weltberühmten großen Wasserräder, wurden rasch wieder aufgebaut, auch wenn sie dem Vergleich mit älteren Fotos nicht standhielten.

Der Aufstand war im Blut ertränkt worden. Von Hama aus hatten die Moslembrüder das Signal zur Rebellion gegen das Assad-Regime geben wollen. Hama war eine Hochburg der Sunniten, glühender Glaubenseifer hatte hier einen günstigen Nährboden gefunden. Die überwältigende Mehrheit der Syrer (rund 70%) gehört der sunnitischen Glaubensrichtung an. Sie lehnten das Minderheitenregime der Alawiten ab, auf die sich Assad stützte. Die Alawiten waren für sie bestenfalls zweifelhafte Moslems, deren Angehörige noch eine Generation früher riskierten, in Hama und der Nachbarstadt Homs gesteinigt zu werden, wenn sie sich dort öffentlich zeigten. Von Alawiten beherrscht und regiert zu werden, war für die frommen Sunniten eine ständige Provokation. Um dieses Regime abzuschütteln, war jedes Mittel recht.

Politische Unruhen hatte es in Syrien schon vor Hama, vor 1982, gegeben. Brandanschläge, Attentate waren an der Tagesordnung. Zuletzt hatten sie sich massiv gehäuft. Das Regime versuchte mit Unterdrückung, Festnahmen, Terror und anderen polizeilichen und geheimdienstlichen Methoden und Maßnahmen die anschwellenden Unruhen unter Kontrolle zu bringen. Menschenrechtsverletzungen, Folter waren allgegenwärtige Praxis. Wenn sich Ausländer, z. B. Bundestagsabgeordnete, auf Bitten etwa von Amnesty International, für die Opfer des Regimes einsetzten, bedeutete das für diese Verfolgten den voraussichtlichen Tod. Das Regime hielt sie für besonders gefährlich, weil sie - erkennbar - Kontakte ins Ausland hatten. Die etwa 2000 mutmaßlichen und tatsächlichen Moslembrüder, die schon vor dem Aufstand festgenommen und im Wüstengefängnis in Tadmor (Palmyra) eingesperrt waren, sind Berichten zufolge im Verlauf des Hama-Aufstands auf besonders niederträchtige Weise umgebracht worden. Man ließ sie mit der Ankündigung, dass sie frei gelassen würden, auf den Gefängnishof antreten. Als sie dort jubelnd - und schutzlos - standen, seien sie mit Maschinengewehrsalven niedergemäht worden.

Nach Hama herrschte Ruhe, "Friedhofsruhe". Hafez-al-Assad, der von 1970-2000 herrschte, hatte das Land von da an im Griff. Er war über die Armee, in der die Alawiten zahlreiche wichtige Offiziersstellen besetzt hielten, 1970 mit einem Putsch an die Macht gekommen. Die Alawiten mit ungefähr 12-14 Prozent der Gesamtbevölkerung konnten sich auf die Drusen mit ca. 3 Prozent und die Christen mit etwa 14 Prozent an der syrischen Bevölkerung stützen. Es war ein Minderheitenregime mit allen Problemen, die ein solches Regime mit sich bringt. Das gilt besonders dann, wenn alte religiöse und ethnische Gegensätze virulent bleiben und sich durch die Re-Islamisierung der arabischen Gesellschaften zuspitzten. Bekanntlich waren die Moslembrüder, 1928 in Ägypten gegründet, nicht nur in Syrien aktiv - sie waren und sind ein gesamtarabisches Phänomen. Assad versuchte, mit einer säkularisierenden Politik dagegen zu halten. Den Frauen wurden zeitweise in der Öffentlichkeit die Kopftücher vom Kopf gerissen und Polizistinnen regelten an den Kreuzungen den Verkehr - für fromme Muslims die Provokation schlechthin.

Das Regime

Syrien war eine Diktatur, die sich neben dem Militär insbesondere auf die allgegenwärtigen Geheimdienste, Mukhabarat, stützte. Wir zählten in der Botschaft Anfang der 1980er Jahre allein 17 Geheimdienste. Sie agierten vielfach unabhängig und unkoordiniert nebeneinander (- was allerdings nicht nur in der syrischen Diktatur vorkommen soll). Auf der Suche nach einem verschwundenen Deutschen musste die Botschaft mehrere Geheimdienste ansprechen, ehe wir ihn ausfindig machen und frei bekommen konnten. Die Geheimdienste waren allmächtig. Einem palästinensischen Mitarbeiter unserer Botschaft, der 1984 festgenommen, eingesperrt und gefoltert wurde, konnten wir nicht helfen. Erst nach Monaten tauchte er wieder auf, ein Wrack von einem Mann. Offenbar hatte seine Kooperation mit dem syrischen Geheimdienst zu wünschen übrig gelassen. Wenn wir als Deutsche Botschaft schon nichts machen konnten, wie musste es dann den einfachen Syrern ergehen? Selbstverständlich wurden alle unsere Telefonate abgehört, private wie dienstliche. Das war unangenehm, aber man lernt damit zu leben. Die Elektronik der Abhöranlagen wurden von unseren Brüdern und Schwestern aus der DDR eingerichtet und gewartet.

Das politische System Syriens war alles andere als offen. Gegenüber ausländischen Botschaften, insbesondere aus dem Westen, schottete sich der syrische Regierungsapparat komplett ab. Syrien war mit der Sowjetunion verbündet und die DDR-Botschaft wachte peinlichst darüber, unseren westdeutschen Einfluss klein zu halten. Es gab Freiräume, einer davon war die Wirtschaft. Hier hatten die Syrer ein zu großes Eigeninteresse, als dass sie sich von der DDR viel hinein reden ließen. Daneben es gab wenig offizielle Kontakte zum syrischen Führungspersonal, die über Belangloses hinaus gingen. Auch die gesellschaftlichen Kontakte zur Führungsschicht waren spärlich und sporadisch. Wenn es dennoch bei privaten Treffen dazu kam, konnte es sein, dass ein syrischer Sitznachbar plötzlich eine Pistole aus dem Hosenbund zog und hinter oder neben sich in eine Falte des Sessels oder Sofas steckte oder ganz selbstverständlich neben das Besteck auf den Tisch legte. Der alawitische General, der die Belagerung von Hama kommandiert hatte, genoss das besondere Vertrauen von Präsident Assad und konnte sich wohl deshalb mehr Freiheiten erlauben. Mit ihm hatten wir zweimal - einmal mit Hans-Jürgen Wischnewski (Ben Wisch) - wahre Saufgelage, stets in der Hoffnung, ein paar nützliche Information aufzuschnappen.

In unseren Berichten und Analysen der Botschaft haben wir auf die lauernden Gefahren der innenpolitischen Situation in Syrien mehrfach hingewiesen. Es war absehbar, dass die Lage irgendwann aus dem Ruder laufen, explodieren würde. In vertraulichen Gesprächen mit Syrern war immer wieder von einer "Nacht der langen Messer" die Rede. Wann und wie das geschehen würde, wusste niemand und auch wir konnten das nicht wissen. Hafez-al-Assad, ein außergewöhnlich gewiefter, trickreicher und politisch präzise kalkulierender Machtpolitiker, konnte bis zu seinem Tod 2000 alles unter Kontrolle halten. Auch unter seinem Sohn und Nachfolger, Baschir-al-Assad, blieb es bis 2011 relativ ruhig. Aber dem Sohn gelang es unter den von seinem Vater ererbten Voraussetzungen trotz einiger Anläufe nicht, das Land dauerhaft in eine offene, freie Zukunft zu steuern. Es gab in Syrien, dieser Kreation der Kolonialmächte Frankreich und Großbritannien (Sykes-Picot-Abkommen von 1916) zu viele Bruch- und Konfliktlinien. Der verheerende Bürgerkrieg ist die Folge.

Ethnische und religiöse Volksgruppen

Die Alawiten, aus deren Reihen sich das Regime ganz überwiegend rekrutierte, bewohnen ein verhältnismäßig geschlossenes Gebiet im Nordwesten Syriens. Sie stellen etwa 12-14% der syrischen Bevölkerung. Als schiitische Sekte waren sie in der Vergangenheit Verfolgungen ausgesetzt, was ihr Zusammengehörigkeitsgefühl gestärkt hatte. Das schließt nicht aus, dass es bei den Alawiten unterschiedliche Klans mit durchaus unterschiedlichen Interessen gab. Ihr Rückzugsgebiet war der Küstenstreifen am Mittelmeer nördlich von Tartus und Latakia bis zur türkischen Grenze sowie die östlich anschließenden Berglandschaften. In diesen bewaldeten Bergen kann man sich wie in Mitteleuropa fühlen. Es gibt Burgen, viele Menschen sind blond und blauäugig, sie sollen von den Kreuzrittern abstammen. Die Alawiten gelten als die Deutschen der Levante, ihr Umgangsstil ist etwas ruppig und wenig diplomatisch. Aber die blonden Frauen wurden von den Scheichs am Golf und in Saudi-Arabien sehr geschätzt. Deshalb gab es in den 1980er Jahren verwandtschaftliche Beziehungen zwischen dem Assad-Klan und dem saudischen Königshaus - wohl ein Grund dafür, dass Syrien von Saudi-Arabien immer mal wieder kräftig mit einer Finanzspritze geholfen wurde.

Viele der syrischen Geheimdienstmitarbeiter waren Christen. Auch die Regierungspartei, die Baath-Partei, war von einem Christen, Michel Aflaq, einem Iraker, gegründet worden. All das konnte zu einer schweren Hypothek für den Fall werden, dass das Regime einmal stürzen sollte und die sunnitische Mehrheit das Heft wieder in die Hand bekam. Die Drusen, seit Jahrhunderten ein besonders kriegstüchtiges Volk der Levante, spielten vor allem in der Armee eine Rolle, wurden aber nach und nach von Alawiten in den wichtigeren Posten ersetzt. Die Drusen siedeln neben Syrien auch im Libanon und in Israel, die Loyalität war im Extremfall möglicherweise problematisch. Die Kurden waren/sind im Norden in relativ geschlossenen Gebieten an der türkischen Grenze beheimatet, verhielten sich Anfang der 1980er Jahre allerdings ruhig. Die vielfach behauptete, generelle Unterdrückung der Kurden in Syrien konnten wir im Zusammenhang mit der Prüfung von Asylverfahren nicht bestätigen. Assad hat sich bemüht, Sunniten in einigen wichtigen Positionen als Aushängeschild zu instrumentalisieren (z.B. Verteidigungsminister General Tlass). Auch die öffentliche Teilnahme am Freitagsgebet in der sunnitischen Omaijaden-Moschee in Damaskus diente diesem Ziel. Geholfen hat es langfristig offensichtlich nicht.

In Damaskus gab es Anfang der 1980er Jahre noch eine jüdische Gemeinde mit einem eigenen Viertel östlich der großen Omaijaden-Moschee. Sie war mit wenigen tausend Personen nicht mehr besonders groß, spielte aber im Geschäftsleben durchaus eine Rolle. In Israel und in der Weltpresse wurde Syrien angegriffen, weil es diese Minderheit unterdrücke. Das stimmt aber nicht. Ökonomisch konnten sich die Juden frei entfalten. Der größte Kunst- und Antiquitätenhändler in Damaskus war ein Jude aus dem Iran - er baute bald Filialen in den europäischen Metropolen aus. Jüdische Goldhändler und Goldschmiede hatte sich bei der Pacht von Läden rund um einen neuen Hotelkomplex in der Innenstadt durchgesetzt - sehr zum Ärger der Muslime. Ein Teppichhändler mit guten antiken Stücken war ebenfalls Jude. Juden durften zwar nicht in der syrischen Armee dienen, was aber in der Realität eher ein Privileg gewesen sein dürfte. Ein Ausreiseverbot für junge jüdische Männer gab es, wenn davon ausgegangen werden konnte, dass sie nicht zurückkehren und danach in den israelischen Streitkräften dienen könnten. Israel war und blieb der Todfeind Syriens, da gab es wenig Kompromisse.


Botschaftsleben

Eine Deutsche Botschaft ist eine kleine Welt für sich, es muss nicht immer harmonisch zugehen. Hoffnungen, Interessen, Verhaltensweisen stoßen sich auf engstem Raum. Ich war ohne den üblichen Vorbereitungsdienst als Kultur-und Pressereferent angekommen und musste mich in dieser kleinen, fremden Welt zurecht finden. Viel Hilfestellung erhielt ich nicht, die allgemeine Tendenz der originären AA-Gewächse, d. h. derer, die den Vorbereitungsdienst für den Auswärtigen Dienst durchlaufen hatten, war ohnehin zu beweisen, dass es ohne den Vorbereitungsdienst eben nicht ging. Aus ihrer Sicht war das auch irgendwie verständlich und nachvollziehbar - hatten sie doch zwei Jahre auf der Bonner Diplomatenschule investiert. Zur Wahrung ihrer eigenen Interessen kultivieren die deutschen Diplomaten deshalb einen starken Korpsgeist, eine kompromisslose Abwehrhaltung gegenüber Externen oder Seiteneinsteigern, die sich bis zur offenen Feindseligkeit steigern kann.

Zur Aufgabe einer Botschaft gehören möglichst zeitnahe und präzise Berichte über die politische, gesellschaftliche, wirtschaftliche Entwicklung im Gastland. Die Lage in Syrien bot dazu reichlich Gelegenheit. Der Berichtspflicht kamen wir nach. Eine Einarbeitung für meine Beiträge brauchte ich nicht. Das Verständnis für Politik und ihre Abläufe war mir - einschließlich meiner Aktivitäten in der Studentenzeit - in fünfzehnjähriger Lehrzeit gewissermaßen in Fleisch und Blut übergegangen. Durch Bücherlesen und Universitätsstudium kann diese Erfahrung nicht ersetzt werden, schon gar nicht auf der Diplomatenschule. Zwar gilt im AA die Zuständigkeit für Politik als das Höchste, daneben treten die Abteilungen für Personal, Wirtschaft, Recht, Konsularwesen, Kultur und Öffentlichkeitsarbeit eher in den Hintergrund.

Gleichwohl verfügen im AA nur wenige über tatsächliche politische Erfahrung. Gerechterweise muss man hinzufügen, dass die deutschen Diplomaten auch wenig Gelegenheit haben, diese zu sammeln - ein Manko, das schon Bismarck beklagt hatte. Die Weimarer Republik und die Nazi-Zeit konnten keine Abhilfe schaffen. Die alte Bundesrepublik konnte bis 1990 nur in Randbereichen eine eigenständige Außenpolitik betreiben, so dass politische Befähigung, bzw. deren Fehlen, im AA nicht besonders auffiel. Einige Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel. Ich hatte infolgedessen ziemlich freie Bahn, solange mich der Botschafter machen ließ. Mit Presse und Presseberichterstattung als Aufhänger konnte ich sogleich loslegen, worüber sich der für Politik zuständige Kollege bald ärgerte und auch beklagte.

Deutscher Botschafter in Syrien war Dr. Dr. Heribert Wöckel, ein Mann der sich durch viele Stationen im Auswärtigen Amt hochgedient hatte. Von mittelgroßer Statur, etwa Mitte 50, hatte sich sein weißes Haar stark gelichtet - er kämmte es über die kahlen Stellen, was manchmal wunderlich aussah. Eine Affinität zum Nahen Osten hatte er nicht, möglicherweise hatten zu viele Auslandsposten seine Neugier und Offenheit verschlissen. Übertrieben wäre zu sagen, dass er sich in Syrien besonders wohl fühlte. Bezeichnend war, dass er in freien Stunden einen Hund spazieren führte, obwohl in Syrien Hunde als "unrein" gemieden und mithilfe ausgelegter Schlingen gefangen und getötet werden. Er wollte Syrien möglichst bald verlassen, freilich nicht ohne den Sprung in die nächste Besoldungsstufe B 6 zu schaffen. Das muss ihm nach meiner Wahrnehmung viele schlaflose Nächte und Kopfweh bereitet haben. Es war das einzige Thema, das ihn leidenschaftlich werden ließ.

Wem in der Botschaft an einem wohlgesinnten Chef lag, besuchte am Sonntag die Messe. Seine Gattin, eine katholische Theologin, hatte als erste Frau im deutschen Fernsehen das "Wort zum Sonntag" gesprochen. Das bürokratische Klein-Klein an der Botschaft unterschied sich kaum oder gar nicht von dem deutscher Inlandsbehörden. Dr. Wöckel hätte genauso gut Leiter einer solchen Behörde sein können. Das Anforderungsprofil wäre kaum anders gewesen - es kommt immer darauf an, was man daraus macht. So war Botschafter Wöckel u. a. ein unschlagbarer Meister darin, den Kaufkraftausgleich und damit die Gehälter für die Botschaftsangehörigen zu steigern - eine Nachzahlung in fünftstelliger Höhe war die erfreuliche Folge. Gleichwohl war er sehr sparsam. So kaufte Frau Wöckel zum Teil die Kleidung für sich und die Kinder auf dem Secondhand-Markt in Damaskus ein; ich erinnere nicht, ob sie darüber stolz oder vorwurfsvoll berichtete.

Vor der Abreise hatte ich meine langjährige Lebensgefährtin, Traudl, geheiratet. In "wilder" Ehe war damals an ein Reüssieren im AA nicht zu denken, insbesondere eine Ausreise an eine Botschaft in einem arabischen, islamischen Land wenig empfehlenswert, schon gar nicht als Seiteneinsteiger. Das Thema kam dann auch gleich in meinem ersten Gespräch mit Botschafter Wöckel als Tagesordnungspunkt Nr. 1 zur Sprache und ich war in der glücklichen Lage, eine Eheschließungsurkunde vorweisen zu können. Die gesellschaftlichen Zwänge haben sich seither gelockert, das AA hat sich der allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung angepasst. Heute werden sogar gleichgeschlechtliche Partnerschaften akzeptiert. Wie das in der Praxis mitunter funktionieren soll, ist mir unklar.

Besucher aus Deutschland gaben Gelegenheit, auch höchstrangige Syrer kennen zu lernen. Franz Josef Strauß, bayrischer Ministerpräsident, hatte allerbeste Beziehungen zu Assad und dessen Familie; Assads Söhne waren z. B. bei der Familie Strauß zu Gast. Hans-Jürgen Wischnewski (Ben Wisch) von der SPD öffnete bei seinem Besuch viele Türen. Bei Strauß und Wischnewski konnte ich das unglaubliche Talent beider Politiker beobachten, in wenigen Minuten ein offenes Gesprächsklima herzustellen, das meilenweit über das im diplomatischen Gebrauch Übliche hinaus ging. Die Botschaft hat sehr davon profitiert. Auch das Gegenteil kam vor. Ein namhafter Bundestagsabgeordneter wollte den Syrern gleich im ersten Gespräch "Manieren im Umgang mit Israel" beibringen. Er erhielt keine weiteren Gesprächstermine, gab dann allerdings der mangelnden Vorbereitung durch die Botschaft die Schuld. Ein von mir mühevoll vorbereiteter Besuch von Außenminister Genscher wurde leider in letzter Minute abgesagt.

Es waren in Damaskus nicht immer nur aufregende Zeiten. Das Botschaftsleben verlief oft in der Routine der Sitzungen, Gesprächen, Pflege der bilateralen Beziehungen in allen Bereichen, die uns zugänglich waren. Die Integration in das diplomatische Leben fiel mir leicht. Die Empfänge, die gesellschaftlichen Essen, der übliche "small-talk" waren eine Pflicht, die ich gerne wahrnahm. Ich traf auf ein gesellschaftliches Umfeld, das sich von meinem bisherigen deutlich abhob. Die Karriereorientierung gab es natürlich auch, aber sie war weniger brutal als in der Politik. Die Diplomaten schienen mir geistig offener, ihre Interessen breiter angelegt zu sein. Es gab unter den ausländischen Diplomaten in Damaskus einige sehr feine Köpfe, deren Umgang ich genoss. Ich atmete auf, ich atmete durch.

Alois Brunner

Während einer Urlaubsvertretung fiel mir die Aufgabe zu, 1984 einen Auslieferungsantrag für Alois Brunner, alias Dr. Georg Fischer, alias... zu stellen. Alois Brunner war einer der wichtigsten Helfer von Adolf Eichmann gewesen und war (mit)-verantwortlich für die Verschleppung von hunderttausenden von Juden in die NS-Vernichtungslager. Es gab Informationen, dass er sich in Syrien aufhielt. Eine langjährige Ortskraft (= nichtentsandte Botschaftsmitarbeiterin), eine mit einem syrischen General a. D. verheiratete Deutsche hatte mir gesagt, dass Brunner früher Kontakte zur Botschaft gehabt habe und deren Angehörige mit in Deutschland üblichen Produkten - u.a. Kartoffeln, Sauerkraut, Würsten - versorgt hätte. Ortskräfte sind so etwas wie das institutionelle Gedächtnis einer Botschaft, da das entsandte Botschaftspersonal einem ständigen drei- bis vierjährigem Wechsel unterworfen ist, wobei viel Wissen verloren geht. Als sich herumsprach, dass ich mit dem Auslieferungsantrag befasst war, konnte ich nichts mehr herausbekommen. In der Botschaft hatte ich auch zum ersten Mal die Redewendung vom "inneren Reichsparteitag" gehört, wenn etwas ganz besonders gut gelaufen war.

In der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion "Die Linke" hat die Bundesregierung am 25. Januar 2015 (Drucksache 18/3777) u.a. auf diesen Auslieferungsantrag vom 18. Dezember 1984 verwiesen. Die deutsche Regierung wollte Brunner vor deutschen Gerichten zur Verantwortung ziehen. Die syrische Regierung hat die Auslieferungsnote meines Wissens nie beantwortet, geschweige denn Brunner ausgeliefert. Alois Brunner blieb unbehelligt in Syrien. Ausgelobte Belohnungen von 500.000 DM und weitere Auslieferungsversuche blieben erfolglos. Ob die zur Erforschung der Frühgeschichte des Bundesnachrichtendienstes (BND) eingesetzte Unabhängige Historikerkommission zusätzliche Erkenntnisse zu Alois Brunner zutage fördert, ist 2015 offen. Unverständlicherweise sind einschlägige Akten des BND zum Komplex Alois Brunner um die Mitte der 1990er Jahre vernichtet worden.

Kulturpolitik

Ein Freiraum, den das Regime kaum abschottete, war die Kultur. Als Kulturreferent hatte ich in diesem Bereich Entfaltungsmöglichkeiten. Schon in meiner Studienzeit hatte ich etwas arabisch gelernt, nun vertiefte ich meine Sprachkenntnisse und konnte bald arabische Zeitungen lesen und einfache Gespräche führen. Das erweiterte meine Kontaktmöglichkeiten ungemein. Der direkte sprachliche Zugang zum Gesprächspartner ist der Schlüssel zum Erfolg, nichts kann ihn ersetzen. Diese Einsicht wurde von Verantwortlichen in Bonn geteilt. Mit ihrer Hilfe konnten wir einige Stipendien des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) für deutsche Studenten einrichten, die in Syrien arabisch lernen wollten. Wir hatten jährlich 5-8 deutsche Stipendiaten am "Arabischen Sprachinstitut für Ausländer in Damaskus", unter ihnen der spätere Zeit-Journalist Michael Lüders.

Das Goethe-Institut in Damaskus konnte mit seinen Aktivitäten mit dem DDR-Kulturinstitut nicht mithalten. Der Leiter war müde und frustriert; er erhielt bald einen letzten Posten vor dem Ruhestand in der französischen Provinz. Das Goethe-Institut blieb weit unter seinen Möglichkeiten. Insbesondere bei der sog. Nachbetreuung ehemaliger syrischer Stipendiaten war uns Ostberlin weit überlegen. In Syrien gab es - auch dank der DDR - eine große Zahl von Wissenschaftlern und Intellektuellen, die deutsch konnten. Ob nach der Wiedervereinigung 1990 daran angeknüpft werden konnte, weiß ich nicht. (Ein in der DDR ausgebildeter Professor führte uns einmal auf "sächsisch" durch den Gemüsemarkt von Homs - selten haben wir so gelacht, es war einfach zu köstlich!) Eine Zweigstelle des Goethe-Instituts in Aleppo, der zweitgrößten Stadt Syriens, zu errichten, ist uns leider nicht gelungen. Gleichwohl konnten wir dort Veranstaltungen durchführen, u. a. den neuen deutschen Film vorstellen (Fassbinder, Herzog, Schlöndorff, Wenders, Kluge u. a.), was begeistert aufgenommen wurde.

Drei Jahre sind eine kurze Zeit, um den Facettenreichtum des Nahen Ostens kennen zu lernen. Die vielen ethnischen und religiösen Minderheiten, die an historischen und kunsthistorischen Baudenkmälern so reichen Städte Damaskus und Aleppo, die Küsten- und Wüstenlandschaften übten einen unwiderstehlichen Reiz auf uns auf. Allein die christlichen Kirchen folgten sechzehn verschiedenen Observanzen, die protestantischen nicht mitgerechnet. Die älteste Kirche der Christenheit steht in Damaskus, hier feierten wir den Weihnachtsgottesdienst. Ein Kontrast dazu waren die deutschen Soldatengräber aus dem Ersten Weltkrieg in Aleppo. An einem Volkstrauertag legte ich dort einen Kranz nieder und hielt eine kurze Ansprache; mit uns haben Franzosen der Toten gedacht. Nach der Rückkehr ins Hotel traf ich auf betrunkene Engländer in Paradeuniform, die den Sieg über Deutschland (11. Nov. 1918) feierten und die letzten Gläser leerten.

Noch ein Wort zu den Syrern selbst. Ich habe sie fast durchweg als angenehme, gastfreundliche Menschen kennen gelernt. Im Gegensatz zu dem, was ihnen nachgesagt wird, gehören auch die Teppichhändler zu den vertrauenswürdigen und absolut ehrbaren Kaufleuten. Hat man sich einmal nach - eher - längerem Verhandeln geeinigt, stehen sie unbedingt zu ihrem Wort. Ein Händler in Aleppo hat mir einmal ein Rückgaberecht zugesagt, wenn mir der Teppich aus welchem Grund auch immer nicht mehr gefallen sollte. Als ich nach über einem Jahr wieder darauf zurückkam, wurde ein alter Mann geholt, der sich tatsächlich an mich erinnerte. Anstandslos wurde der Teppich zurückgenommen und mir ein anderer ausgehändigt, der mir besser gefiel. Die Goldschmiedekunst, das Lautenspiel (arabisch Uth) standen in hohem Kurs, einen Uth-Spieler konnte ich einmal für eine Veranstaltung bei mir zu Hause engagieren.

Auf einer Abschiedsveranstaltung kurz vor der Rückreise nach Deutschland war ich gefragt worden, was mir am meisten in Syrien aufgefallen sei, was gewissermaßen die Summe meiner Eindrücke sei. Ich antwortete, dass die Syrer uns Europäern kulturell sehr nahe stünden, jedenfalls sehr viel näher als andere Völker, die geographisch dichter an Zentraleuropa liegen. Einige Syrer sind schon vor Jahrzehnten nach Deutschland gekommen und haben das deutsche Geistesleben bereichert, wie der Schriftsteller Rafik Schami oder der Politikwissenschaftler Bassam Tibi, um nur einige zu nennen.

Archäologie und historische Denkmäler

André Parrot, der langjährige Leiter der Sammlungen des Pariser Louvre, hat einmal gesagt: "Jeder Mensch hat zwei Vaterländer, sein eigenes und Syrien". Syrien liegt im Herzen des sog. fruchtbaren Halbmonds, d. h. in der Region, in der sich spätestens seit dem 3. Jahrtausend v. Chr. eine Kultur entfaltete, die noch für unsere Zeit mitprägend ist: Schrift, Kunst, Literatur, Architektur, alles entstand zwischen Mesopotamien (Zweistromland an Euphrat und Tigris), Anatolien (heutige Türkei), dem Mittelmeer und dem Niltal in Ägypten. Kein Wunder, dass Syrien, wo sich die politischen und kulturellen Einflüsse kreuzten, ein unvergleichliches archäologisches Erbe besitzt. Zahlreiche Völkerschaften und Eroberer lösten sich ab: Babylonier, Ägypter, Hethiter, Assyrer, Perser, Griechen, Parther, Römer, Byzantiner, Araber, Osmanen, Kreuzritter und schließlich auch die Kolonialmacht Frankreich. Sie alle haben ihre Spuren hinterlassen.

Unzählig sind die historischen Denkmäler auf syrischem Boden. Allein Damaskus, die älteste kontinuierlich besiedelte Stadt der Welt, birgt kaum überschaubare Schätze. Im 1. Weltkrieg haben Karl Wulzinger und Carl Watzinger, zwei invalide deutsche Offiziere, die nicht mehr aktiv am Krieg teilnehmen konnten, die Denkmäler aus der islamischen Zeit gesammelt. Theodor Wiegand hat sie nach dem Krieg in der Reihe Wissenschaftliche Veröffentlichungen des Deutsch-Türkischen Denkmalschutzkommandos veröffentlicht. Wir haben die Sammlung in arabischer Übersetzung 1984 neu herausgegeben. Deutsche Archäologen haben Anfang der 1980er Jahre wichtige Vorarbeiten für die Restaurierung von Teilen der Damaszener Altstadt geleistet, Teile der Stadtmauer wurden neu vermessen. Mit Liebe und großem Engagement haben deutsche Wissenschaftler am Erhalt der Altstadt mitgewirkt.

Aleppo, die zweitgrößte Stadt Syriens, hatte unvergleichlich lebendige Suks, d. h. überdachte Gassen, in denen sich das Leben wie im Mittelalter abspielte. Wer z. B. Lammfleisch kaufen wollte, deutete auf ein Schaf, das vor seinen Augen geschlachtet wurde - er war somit sicher, dass das Fleisch frisch war. Bis ins 19. Jahrhundert war Aleppo ein Endpunkt der Seidenstraße, wo sich Händler nach langen, entbehrungsreichen Reisen in raffinierten Hamams (Bädern) erholten. In Aleppo hatte im ehrwürdigen Hotel Baron der deutsche Generalstab im Ersten Weltkrieg unter General Falkenhayn residiert. Agathe Christi schrieb dort auf der Terrasse ihre ersten Kriminalromane. In einem Privathaus in der Altstadt, die den Nachkommen ehemaliger österreichisch-ungarischer Konsuln gehörte, wurden erstaunliche Gegenstände aufbewahrt, darunter zwei Stradivari-Geigen. Aleppo war für mich neben Isfahan im Iran und Peshawar in Pakistan die orientalische Stadt schlechthin.

Wir hatten in Damaskus eine Zweigstelle des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI). Jährlich gab es rund 14 deutsche Grabungskampagnen bzw. Restaurierungsprojekte. Über die Archäologie konnte ich an meine alte Liebe, die Geschichtswissenschaft anknüpfen. Syrische Archäologen waren in Deutschland ausgebildet worden, so dass wir exzellente Beziehungen zur syrischen Antikenverwaltung hatten. Archäologen sind ein eigenes Völkchen. Es gehört schon einiges dazu, in den heißen Sommermonaten in der Wüste fernab jeder Zivilisation monatelang im Sand zu wühlen, um Erkenntnisse über Vergangenes zu gewinnen. Die großen Funde, die Schlagzeilen machen und die Museumssäle füllen, sind die große Ausnahme. Ausdauer, eine lange und gründliche Ausbildung und Glück gehören dazu, um als Archäologe bekannt, vielleicht sogar berühmt zu werden.

Die schönste Dienstreise meines Lebens war ein Besuch der deutschen Grabungen in Syrien. Gegen Ende eines Haushaltsjahres hatte die Botschaft festgestellt, dass wir unseren Dienstreise-Etat nicht ausgeschöpft hatten, weil zu heftig gespart worden war. Wenn wir den Etat nicht ausschöpften, würde er im nächsten Haushaltsjahr abermals gekürzt. Also wurde ich zwecks Verbrauchs der restlichen Mittel auf eine zweiwöchige Dienstreise zu unseren Archäologen geschickt. Sie nahmen mich überall gastfreundlich auf. Mehrfach hatte ich ihnen auch mit Material, u. a. einem Klepper-Faltboot, und Zuweisungen aus dem AA-Kulturetat unter die Arme gegriffen. Auch italienische und niederländische Grabungen konnte ich besuchen. Es war nicht immer leicht, die Grabungsstellen und Lager in der Wüste zu finden, sie lagen selten an den Hauptstraßen. Einmal habe ich mich verfahren und musste auf meiner eigenen Spur umkehren, um wieder auf die Hauptpiste zu gelangen. So etwas kann auch einmal schief gehen. Die kundige Führung durch die Grabungsstätten und die zähe Entdeckerleidenschaft der Archäologen begeisterten mich. Noch heute versetzt mich diese archäologische Dienstreise in ferne Geschichtsepochen ins Schwärmen.

Das war 1982 - 1985.


Heute zerreißt es einem buchstäblich das Herz, wenn man die Zerstörungen des Bürgerkrieges sieht, der von allen Beteiligten mit der größten Rücksichtslosigkeit geführt wird. Die Suks von Aleppo sind zerstört, die Omaijaden-Moschee, diese Oase im Gewühl der Gassen von Aleppo, ein Trümmerhaufen, unzählige Grabungsstätten ausgeraubt, die Arbeit von Generationen von Archäologen, Kunsthistorikern und Architekten zunichte gemacht. Noch (2015) ist die Innenstadt von Damaskus weitgehend unversehrt, aber wie lange noch? Derweil fährt der sog. Islamische Staat fort, u. a. die einzigartigen Ruinen von Palmyra, diesem Schmelztiegel des Nahen Ostens, dem Erdboden gleich zu machen. Unwiederbringliches geht verloren. Welcher Wahnsinn treibt die Menschen? Es wäre allerdings verfehlt, nur den heutigen Kriegen im Nahen Osten solchen Frevel anzulasten. In Europa liegt dergleichen gar nicht so weit zurück. Man denke nur an die sogenannten Baedeker-Bombardements der britischen Bomberflotten über Deutschland (benannt nach dem bekannten Baedeker-Kunstreiseführer) gegen Ende des Zweiten Weltkriegs, als absichtlich und planmäßig deutsche Kunstdenkmäler in Schutt und Asche gelegt wurden.


Libanon

Der vom israelischen Premier Menachem Begin und Verteidigungsminister Ariel Scharon am 6. Juni 1982 entfesselte Libanonkrieg war neben den Folgen des Hama-Aufstands das zweite Ereignis, das mir zahlreiche Berichte abforderte. Die Israelis waren bis zur libanesischen Hauptstadt Beirut vorgerückt. Damaskus griff militärisch nicht direkt in den Konflikt ein, da sich die israelische Offensive gegen die palästinensische Präsenz im Südlibanon richtete. Hier hatte die Palästinenserorganisation PLO einen eigenen Staat im Staate errichtet. Damaskus war gleichwohl auf der Hut und sah sich bedroht. Syrische Kampfflugzeuge sowjetischer Provenienz, die von schlecht ausgebildeten Piloten geflogen wurden, waren von den Israelis gnadenlos abgeschossen worden.

Im September 1982 kam es im Süden Beiruts unter den Augen des israelischen Militärs zu den Massakern von Sabra und Schatila, bei denen einige Tausend Palästinenser von christlich-maronitischen Milizen niedergemetzelt wurden. Erst 1985 zogen sich die Israelis zurück, errichteten aber im Süden des Libanon eine sog. Sicherheitszone. Die Kriegsereignisse machten damals Schlagzeilen auf der ganzen Welt. Für unsere Botschaft, insbesondere für mich, kam es darauf an, über Einschätzungen und Reaktionen der syrischen Regierung so zeitnah wie irgend möglich zu berichten, damit man sich in Bonn ein Bild aus eigenen Quellen machen konnte. Selbstverständlich nutzten wir (und ich) dabei auch die Kontakte zu anderen befreundeten Botschaften und versuchten, aus vielen Einzelinformationen ein Gesamtbild zusammenzusetzten.

Im Libanon herrschte seit 1975 Bürgerkrieg zwischen den verschiedenen ethnischen und religiösen Gruppen. Christliche Maroniten, Schiiten, Sunniten, Drusen und Palästinenser bekämpften einander. Zwischen Syrern und Libanesen gab es zahlreiche verwandtschaftliche Beziehungen, das Assad-Regime betrachtete sich deshalb als Schutzmacht des Zedernstaates. Syrien hatte in weiten Teilen des Nordlibanon und in der Bekaa-Ebene Truppen stationiert. Ausnahmen bildeten die von den Maroniten und Drusen bewohnten Gebiete. Im syrisch besetzten Teil des Libanon herrschte, soweit wir das feststellen konnten, einigermaßen Ordnung. Unsere Fahrzeuge konnten wir bei syrischen Militärposten selbst für längere Zeit abstellen, ohne befürchten zu müssen, dass sie beschädigt oder entwendet würden. Mit PLO-Chef Arafat hatte sich Hafez-al Assad 1983 überworfen und vertrieb die PLO aus dem Nordlibanon, den er als syrisches Einflussgebiet beanspruchte. Nur eine Herzattacke Assads erlaubte es Arafat, sich vor dem syrischen Zangengriff nach Tunis abzusetzen. Auch sonst gab es im Libanon ständig irgendwo Schießereien. Eine Zeit der Ruhe war allerdings die Hanf/Hasch-Ernte, dann schwiegen die Waffen.

Wir fuhren von Damaskus zum Einkaufen oft in den Libanon. Ich erwähne das, weil es für ein vom Bürgerkrieg heimgesuchtes und unter fremder Besatzung stehendes Land doch sehr ungewöhnlich ist. Nach Zahle, einer maronitischen Stadt in der Bekaa-Ebene, war es nur eine Stunde Fahrt. Die Grenze war offen oder wir wurden mit Diplomatennummern einfach durch gewunken. Im Libanon konnte man alles bekommen, was es in Syrien nicht gab: u. a. beste Anzüge italienischer Herkunft, die modernsten Geräte der Unterhaltungselektronik und Alkoholika. Armenische Freunde hatten wir einmal nach Zahle mitgenommen, denen ein feines Porzellan aus Sèvres/Frankreich besonders gefiel. Sie wollten ein ganzes Service kaufen - bis zum Spätnachmittag wurde es aus Beirut über die Libanonberge geliefert. Ein Journalist der Süddeutschen Zeitung (Buchalla) berichtete mir von einer einstündigen Waffenruhe in Beirut, die er zum Einkaufen nutzte. Halb scherzhaft wollte er sich Lachs gönnen und wurde zurückgefragt, ob er norwegischen, schottischen oder kanadischen haben wollte? Der Geschäfts- und Händlergeist der Libanesen war selbst im schwersten Bürgerkrieg nicht kaputt zu kriegen.

Nicht immer ging es so harmlos zu. Mit einem syrischen Mitarbeiter unserer Botschaft war ich auf dem Weg nach Beirut, als uns eine maronitische Miliz stoppte. Mit zwei Mann auf den Rücksitzen, die entsicherte Pistolen in Händen hielten, ging es zu einem einsam gelegen Posten, wohl eine Art improvisiertes Hauptquartier, wo man uns nach intensivem Studium unserer Papiere und einigen Telefonaten nach rund zwei Stunden wieder weiter fahren ließ. Nicht wenige Personen sind während des libanesischen Bürgerkrieges bei solchen Zwischenstopps spurlos verschwunden. An einem Straßenposten wurde zwei Damen unserer Botschaft hinterher geschossen, weil sie wohl zu schnell vorbei gefahren waren. Einmal stieß ich auf einer Fahrt in den Libanon mit meiner Frau überraschend auf einen einsamen israelischen Militärposten - die Israelis rückten immer mal wieder vor. Wir einigten uns mit dem Posten darauf, dass wir als "Touristen" unterwegs wären - was natürlich abwegig und lächerlich war. Offensichtlich fürchtete er - auch für sich - die Komplikationen, die eine Rückfrage in der Etappe auslösen würde.

Unbefristete Übernahme ins AA?

Anlässlich meiner befristeten Übernahme ins AA hatte mir der zuständige Referatsleiter für den höheren Dienst, der wie ich Schenk (aber ohne ck) hieß, unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass nach drei Jahren Schluss sei. Von der Fraktionsspitze und mir wurde das anders gesehen. Einmal im AA, sollte das Arbeitsverhältnis in ein unbefristetes umgewandelt werden. Dass die SPD binnen weniger Monate aus der Regierung gedrängt werden würde, hatten wir nicht eingeplant. Die drei Jahre in Damaskus/Syrien als Diplomat in relativer Politikferne haben mir ausgesprochen gut getan. Dass das Auswärtige Amt eine dauerhafte Übernahme ablehnte, war ärgerlich, aber im Moment nicht zu ändern. Ich teilte das allgemeine Schicksal der Wahlverlierer.






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