Vorwort
Die in diesem Band gesammelten Schriften führen zurück in die Zeit der sozial-liberalen Regierungskoalition von 1969 - 1982. Es ist die Zeit großer Hoffnung und deren Umschlagen in Bitterkeit und Frust. Die Namen Willy Brandt und Helmut Schmidt stehen für das Janusgesicht dieser Jahre. Der Morgenröte des "Aufbruchs" unter der Kanzlerschaft von Willy Brandt (1969 - 1974) folgte die "bleierne Zeit" unter Helmut Schmidt (1974 - 1982). So haben es jedenfalls viele empfunden, die sich - wie der Autor - aus der Studentenbewegung heraus in der SPD oder anderen Organisationen engagierten.
Das holzschnittartige Schwarz-Weiß ist natürlich zu einfach, es gab Übergänge, helles und dunkleres Grau schon unter Willy Brandt und später Helmut Schmidt. Aber als grobes Raster ist die Unterscheidung durchaus brauchbar, weil sie tiefer liegende Ursachen und Interessen sichtbar macht. Willy Brandt und Helmut Schmidt waren als Politiker nicht nur völlig verschiedene Persönlichkeiten, sie waren auch von unterschiedlichen politischen Ideen und Vorstellungen getragen - auch wenn sie beide in der SPD zusammenfanden. Der eine war nach 1945 als Emigrant nach Deutschland zurückgekehrt, der andere hatte bis Kriegsende 1945 als Wehrmachtsoffizier gedient.
Woran ließe sich das besser als an der Entwicklung der Parteien und der Hochschulpolitik zeigen? In den Parteien und Universitäten wurde der Streit um Politik und geistige Verfassung der Bundesrepublik ausgetragen. Der sog. "Marsch durch die Institutionen", den die aus der Studentenrevolte hervorgegangenen Achtundsechziger angetreten hatten, war von vielen Rückschlägen und Niederlagen gekennzeichnet; die geistig-politische Hegemonie wurde erst nach heftigen, jahrzehntelangen Auseinandersetzungen durchgesetzt - im Grunde genommen erst mit der rot-grünen Regierungskoalition und der Kanzlerwahl Gerhard Schröders dreißig Jahre später.
Angetreten war die sozial-liberale Koalition Willy Brandts mit der Losung "Mehr Demokratie wagen". Autoritäres und obrigkeitsstaatliches Denken waren damals in der bundesrepublikanischen Politik und Gesellschaft noch tief verwurzelt. Mit der Überwindung dieser Strukturen war der jungen Generation ein ebenso überzeugendes wie mitreißendes Ziel gesetzt. In Scharen trat die Jugend der SPD bei. Die "Willy-Wahl" von 1972 wurde und blieb für Viele ein wichtiger Markstein der eigenen Biografie. Mit den Schriften "Leistung durch Demokratisierung" von 1972 (Dok. III, 2) und "Wirtschaftsdemokratie heute" von 1974 (Dok. III, 1) hat der Autor diese Politik unterstützt.
Der Aufsatz "Sozialdemokraten und Liberale. Historische und ideologische Grundlagen der Regierungskoalition" von 1973 (Dok. I, 6) ging in die gleiche Richtung. Die Einlösung des Demokratie-Versprechens der gescheiterten Revolution von 1848 wurde dem Regierungsbündnis von FDP und SPD als historischer Auftrag mit aufgegeben. Die Hoffnungen der 1848er-Revolution sollten endlich in Erfüllung gehen. Auch der CDU/CSU wurde 1974 diese Zielsetzung in dem Text "Die Zukunft der Unionsparteien. Ein Beitrag aus der Sicht eines Sozialdemokraten" nahegelegt, wenn sie den Anschluss an die neuen Entwicklungen nicht verlieren wollte (Dok. I, 5). Die Kräfte der Beharrung waren bei den Christsozialen allerdings besonders stark.
Die Bildungspolitik stand - so die Regierungserklärung Willy Brandts von 1972 - an der "Spitze der Reformen". Wie andere hat sich der Autor auf diesem Gebiet besonders engagiert und als Referent der SPD-Bundestagsfraktion insbesondere am Hochschulrahmengesetz (HRG) mitgearbeitet. Mehrere Publikationen sind ein Nebenprodukt dieser Tätigkeit von 1972 - 1976 (Dok. II, 1 - 7). Hervorzuheben ist die Schrift "Strategien zur Lösung der Hochschulkrise" von 1974 (Dok. II, 5), in der der Autor seine Erfahrungen als Achtundsechziger mit der Arbeit in der SPD-Bundestagsfraktion und am HRG verknüpft. Der Vorschlag zur Gründung der JUSO-Hochschulgruppen war u. a. ein Ergebnis dieser Überlegungen.
Helmut Schmidt hatte schon Anfang der 1970er Jahre mit der Gründung der Bundeswehrhochschulen eigene und andere Akzente gesetzt ("Hochschulen der Bundeswehr", Dok. II, 6). Die CDU, die zumindest in Baden-Württemberg anfänglich für Reformansätze offen war, schwenkte bald um und ging auf Gegenkurs ("Der Fall Universität Konstanz. Die CDU schürt selbst den politischen Radikalismus", Dok. II, 7). Im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens zum HRG kippte die Stimmung vollends. Die Hochschulreform endete in einem Kompromiss, in dem von den ursprünglichen Reformideen nur noch wenig zu erkennen war. Die Enttäuschung des Autors schlug sich in dem Buch "Das Hochschulrahmengesetz. Hochschulreform in der Gesellschaftskrise" von 1976 nieder (Dok. II, 1), worin er den Deutungen Helmut Schmidts deutlich widersprach.
Das Hochschulrahmengesetz steht beispielhaft für die Bildungsreform in den 1970er Jahren. Die beharrenden Kräfte setzten sich durch, der Durchbruch in eine offene, hoffnungsvolle Zukunft fand nicht statt. Der jugendliche Elan, der die Gesellschaft der Bundesrepublik und ihre Institutionen hätte erneuern können und müssen, wurde ausgebremst, um nicht zu sagen "abgewürgt". Technokratische Gängelung, das Beharren auf Strukturen im Bildungswesen, die verkrustete Gesellschaftsstrukturen zementierten, der Radikalenerlass mit seiner Gesinnungsschnüffelei und allgegenwärtigen Einschüchterung, das alles führte zu einer maßlosen Enttäuschung der Jugend. Eine ganze Generation fühlte sich abgeblockt, ein Teil sah sich um seine Zukunft betrogen.
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. . . . In der SPD machten sich Verzagtheit, Zukunftsangst, ja Lähmung breit. Sie wurden befördert von Helmut Schmidt, der Popularität gewann (oder zu gewinnen hoffte), indem er betont gegen die SPD regierte. Aber solange er regierte, hielt die SPD aus Loyalität überwiegend still. Nach seinem Abgang brach der Zorn, in einigen Fällen auch "blanker Hass" durch. Im Irseer-Programmentwurf der SPD schlug sich das - in freilich wenig konstruktiver Weise - nieder ("Die richtigen Einsichten - aber nicht die Kraft, sie durchzusetzen. Anmerkungen zum Irseer Programmentwurf der SPD", Dok. I, 1). Es dauerte danach ein Jahrzehnt bis sich die SPD aus der von Kanzler Schmidt verursachten Selbstblockade befreien konnte und auch programmatisch wieder handlungs- und regierungsfähig wurde.
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Die dokumentierten Texte stammen aus der Jahren 1972 - 1987 und beleuchten diese Zeit. Die Blockade der Zukunft, der Verrat an der Zukunft, die - wie es viele sahen - für die Ära Schmidts kennzeichnend waren, wurden endgültig erst durch die rot-grüne Regierungskoalition von 1998 und die bis heute unterschätzte Kanzlerschaft Gerhard Schröders überwunden.
Das Leben geht weiter und die Entwicklung bleibt nicht stehen. Dreißig Jahre nach dem Sturz Helmut Schmidts scheint alles vergeben und vergessen und die SPD bedient sich pragmatisch der Popularität Schmidts, auch wenn sie teilweise gegen die SPD erworben wurde.
Kattenhorn, im März 2013
Inhaltsverzeichnis | 5 | ||
Vorwort | 7 | ||
I. | Parteien | 13 | |
1. | Die richtigen Einsichten - aber nicht die Kraft, sie durchzusetzen. Anmerkungen zum Irseer Programmentwurf der SPD, in: Die Neue Gesellschaft / Frankfurter Hefte, 34. Jg., 1987, 6, S. 535 - 539 | 15 | |
2. | Die Sozialistische Partei Frankreichs, in: Zeitschrift für Politik, Organ der Hochschule für Politik München, 25. Jg., 4, S. 377 - 389 | 20 | |
3. | Die sozialdemokratischen Parteien der EG vor den Direktwahlen, in: aus politik und zeitgeschichte, beilage der wochenzeitschrift das parlament, B 14/79, 7. April 1979, S. 17 - 31 | 33 | |
4. | Guntram von Schenck u. Helga Wanke, CDU / CSU: Obstruktion statt Opposition, in: Die Neue Gesellschaft, 23. Jg., 9, S. 736 - 739 | 48 | |
5. | Zur Zukunft der Unionsparteien. Ein Beitrag aus der Sicht eines Sozialdemokraten, in: Gesellschaftspoliotische Kommentare, 20. Jg., 1973, 14, S. 164 - 167 | 52 | |
6. | Sozialdemokraten und Liberale. Historische und ideologische Grundlagen der Regierungskoalition, in: Die Neue Gesellschaft, 20. Jg., 1973, 5, S. 362 - 366 | 56 | |
II. | Hochschulreform | 61 | |
1. | Rezension (Buch): Guntram von Schenck, "Das Hochschulrahmengesetz. Hochschulreform in der Gesellschaftskrise", Bonn 1976, 144 Seiten, (ISBN 3-87831-235-0) von Ludwig von Friedeburg, "Studienreform im Zentrum. Geschichte des Hochschulrahmengesetzes", in: Frankfurter Rundschau vom 11. Dezember 1976 | 63 | |
2. | Der Kampf um die Hochschulen oder Das Hochschulrahmengesetz, in: aus politik und zeitgeschichte, beilage der wochenzeitschrift das parlament, B 29 / 76, 17. Juli 1976, S. 13 - 37 | 65 | |
3. | Akademiker - künftig arbeitslos oder sinnvoll beschäftigt? in: Die Deutsche Universitätszeitung (DUZ / HD), Jg. 1977, 24, S. 790- 792 | 90 | |
4. | Praxisbezug im Studium?, in: Die Deutsche Universitätszeitung (DUZ/ HD), Jg. 1976, 19, S. 526 -528 | 97 | |
5. | Strategien zur Lösung der Hochschulkrise, in: Die Neue Gesellschaft, 20. Jg., 1973, 9, S. 699 - 702 | 102 | |
6. | Hochschulen der Bundeswehr, in: Die Neue Gesellschaft, 19. Jg. 1972 S. 556 - 560 | 110 | |
7. | Der Fall Universität Konstanz. Die CDU schürt selbst den politischen Radikalismus, in: Sozialdemokratischer Pressedienst, 11. Okt. 1972, S. 6/7 | 114 | |
III. | Varia | 117 | |
1. | Wirtschaftsdemokratie heute, in: Gewerkschaftliche Monatshefte, 26. Jg., April 1974, S. 251 - 259 Nachdruck (teilweise) in: Junge Kirche, 36. Jg., Juli 1975, S. 389-393 | 119 | |
2. | Leistung durch Demokratisierung, in: Die Neue Gesellschaft, 19. Jg., 1972, 12, S. 951- 956 | 128 | |
3. | Politik und Korruption (Manuskript von 1976, veröffentlicht 2011 in: Guntram von Schenck, Autobiographie, Radolfzell 2011, S. 181-192) | 133 | |
4. | Interview Südkurier vom 29. 12. 2001 | 146 |