Guntram von Schenck, Juni 2013
Der EURO: eine deutsch-französische Affäre?
L´EURO: une affaire franco-allemande?
Der EURO-Währungsraum steckt weiter in einer Dauerkrise. Die Risiken und Weiterungen bleiben unübersichtlich. In Deutschland wird die Euro-Politik vornehmlich von Ökonomen diskutiert. Die politischen Fragen sind aber entscheidender. Das heißt nicht, dass die Ökonomie aus der politischen Debatte ausgeblendet werden soll und darf. Sie kann aber die politische Reflexion nicht ersetzen.
Der EURO - eine französisch-deutsche Entscheidung
Die politische Fragestellung ist schon deshalb zwingend, weil der EURO in erster Linie ein politisches Projekt ist. Erst in zweiter Linie wurden von der gemeinsamen Währung auch ökonomischer Nutzen erwartet. Die Entstehungsgeschichte lässt daran keinen Zweifel.
Die Pläne für eine gemeinsame Europawährung gehen zwar bis in 1970er Jahre zurück. Sie wurden aber von deutscher Seite mehr oder weniger dilatorisch behandelt, da man mit der D-Mark und ihrer starken Stellung ganz zufrieden war. Warum sollte man ohne Not davon abrücken? Deshalb wurde von deutscher Seite die Notwendigkeit einer gründlichen Vorbereitung gerade im Hinblick auf die ökonomischen Folgen der Einheitswährung betont. Frankreich hingegen drängte, da es sich von der dominanten Politik der Bundesbank in seinen wirtschafts- und finanzpolitischen Entscheidungen eingeengt, ja bevormundet sah und an den Entscheidungen zumindest mitwirken wollte (dazu unten mehr).
Man mag darüber streiten, wie die Verhandlungen um die Einheitswährung im Zusammenhang mit der Wiederherstellung der deutschen Einheit 1989/1990 im Einzelnen zu werten sind. Im Kern musste D-Mark für die deutsche Einheit geopfert werden, es gab ein "quid pro quo". Frankreichs Präsident Mitterrand stimmte der deutschen Einheit (zögernd) zu, nachdem Bundeskanzler Helmut Kohl die Einführung der europäischen Einheitswährung zugesichert hatte. Die Entscheidung für den EURO war eine deutsch-französische Übereinkunft. Mitterrand nutzte den Status Frankreichs als ehemalige Siegermacht, um die gemeinsame Währung durchzusetzen. Die offiziell verkaufte Version hieß freilich, dass Frankreich aus Freundschaft der deutschen Einheit zugestimmt habe - was allerdings naiv wäre und auch nicht stimmt.
Nach der französisch-deutschen Übereinkunft vom Spätherbst 1989 ging alles ganz schnell. Schon im Februar 1992 wurde mit dem Maastricht-Vertrag der Prozess der EURO-Einführung in Gang gesetzt. Allerdings wurde die Einführung der europäischen Einheitswährung von Deutschland nicht blindlings mitgetragen. Es gab zu viele Bedenken. Der deutsche Einfluss auf die künftige Einheitswährung konnte insoweit gewahrt werden, als u. a. die zu errichtende Europäische Zentralbank nach dem Vorbild der Bundesbank unabhängig sein sollte und deutsche Interessen durch die "No-bail-out"-Klausel sowie das Verbot der Staatsfinanzierung vertraglich gesichert erschienen. Andere Bedenken, insbesondere der Einwand, dass auch politisch nicht gelingen könne, was wirtschaftlich falsch sei, wurden vom Tisch gewischt.
Die Politik entschied, die Wirtschaft hatte zu folgen. Das ist das Grundgesetz, nach dem die europäische Einheitswährung ins Leben gerufen wurde. Das muss wissen und in Rechnung stellen, wer über die Zukunft und die Fortentwicklung der EURO-Währung diskutiert. Es gilt der unbedingte Vorrang der Politik, auch wenn das zu Fehlentwicklungen führen kann und Opfer fordert. Zur Erinnerung: auch bei der deutschen Einheit wurde mit dem 1 : 1 Währungstausch von DM und Ostmark unter ökonomischen Gesichtspunkten ein Fehler gemacht, der aber politisch notwendig war. Dafür musste nach der Wiedervereinigung mit dem Niedergang der ostdeutschen Industrie bezahlt werden, die nicht mehr konkurrenzfähig war.
Wie man auch aus zahlreichen anderen Beispielen weiß, folgt die Wirtschaft nicht immer den politischen Vorgaben. Manchmal geht es gut, manchmal aber auch nicht. Letzteres ist immer dann der Fall, wenn sich die Wirtschaft den politischen Rahmenbedingungen nicht oder nicht schnell genug anpassen kann. Mit anderen Worten: wenn die notwendigen Opfer zu groß werden. Dann erwachsen aus der Ökonomie Probleme, die wiederum die Politik in Frage stellen und eine Politikänderung erzwingen. Aber immer entscheidet letztlich die Politik: welche Opfer sind zu vertreten und durchsetzbar, welche nicht? Die Politik bleibt Herrin des Verfahrens. Das gilt auch für den EURO.
Die Entscheidung für den EURO war eine französisch-deutsche, geboren in den dramatischen Monaten der Wiederherstellung der deutschen Einheit 1989/1990. Mitterrand setzte, wie es Frankreichs voluntaristischer Staatstradition entsprach, ganz auf die Politik. Deutschland vertraute auf wirtschaftliche Interessen, die sich in der EU pragmatisch annähern sollten. Dafür braucht es Regeln und Zeit, damit sich die gemeinsamen Interessen der Staaten im EURO-Raum entwickeln (können). Das ist hart gezeichnet, die konkreten deutsch-französischen Gegensätze waren und sind weniger scharf.
Den Staaten, die dem EURO-Währungsgebiet beitraten, schienen diese Gegensätze überbrückbar, anderen, die dem EURO fern blieben, wie Großbritannien, Tschechien, Schweden aus unterschiedlichen Gründen nicht. In Deutschland erhoben vor allem Ökonomen ihre warnende Stimme.
Interessen der EURO-Staaten
Der deutsch-französische Interessenausgleich ist zwar notwendig aber nicht ausreichend. Deshalb sind die Interessen der anderen Staaten der Eurozone in den Blick zu nehmen - wenn das auch nur kursorisch möglich ist.
Allen Staaten der EURO-Zone kann man den "sacro egoismo", das Eigeninteresse unterstellen, sei es ökonomischer oder politischer Art. Das Kalkül ist unterschiedlich: alle erhoffen und errechnen sich ökonomische Vorteile, was nicht nur legitim sondern auch erwünscht ist. Politisch mag es zusätzlich für ostmitteleuropäische Länder erstrebenswert sein, nun endgültig als Vollmitglied zu Europa zu gehören und dort einen politischen Stabilitätsanker zu finden. Tschechien scheint ein Sonderfall zu sein, ist aber aufgrund seiner zentralen geographischen Lage ohnehin immer mit dabei. In der Vergangenheit war die EU für Spanien, Portugal und Griechenland nach der Überwindung der Diktaturen als politischer Stabilitätsanker wichtig. Heute dürfte in den südeuropäischen Peripheriestaaten das ökonomische Interesse überwiegen, jedenfalls solange die Subventionen fließen.
Italien ist ein Sonderfall: Italien sieht sich als Gründungsmitglied und wegen seines wirtschaftlichen Gewichts als Kernland der EU. Seit Bestehen der Vorgängerorganisationen der EU war Italien freilich immer auch Empfängerland von Subventionen - in welcher Form auch immer. Das wird nicht hinterfragt und ist aus italienischer Sicht konstitutiv für seine Mitgliedschaft. Die Politik dient dem Ziel, daraus den größten Nutzen zu ziehen. Italienische Interessen werden zu gesamteuropäischen erklärt und ihre Ablehnung als Verrat an Europa kritisiert. Widerspruch erfährt Italien selten, weil es wegen seiner Größe über ein beträchtliches Schadenspotential verfügt aber wiederum nicht so mächtig ist, um tatsächlich ganz großen Ärger hervorzurufen. Unübersehbar ist ein gewisses Anlehnungsbedürfnis Italiens an die Brüsseler EU-Zentrale. Oft wird über Brüssel das in Italien durchgesetzt, was wegen der Schwäche der eigenen Politik und Institutionen nicht möglich ist. Man lehnt sich im Sessel zurück und erwartet von Brüssel Taten, die dann allerdings auch von Brüssel zu bezahlen sind.
Inwieweit für viele Euro-Länder auch gesamteuropäische Interessen wichtig oder gar entscheidend sind, lässt sich schwer beurteilen. Die Überwindung alter Streitigkeiten, die sich in verheerenden Kriegen entluden, verblasst als einigende Erinnerung immer mehr. Verbal treten die Regierungen natürlich für gesamteuropäische Interessen ein: Handelsinteressen auf globaler Ebene, die politische und wirtschaftliche Selbstbehauptung Europas, europäischer Mitgestaltungswille in einer multipolaren Welt, weltweite Vertretung und Durchsetzung der Menschenrechte etc.. Wie weit das trägt, wenn konkrete Eigeninteressen entgegen stehen, ist oft fraglich und Gegenstand eines komplizierten Interessenausgleichs. Größere Länder versuchen, sich durchzusetzen, kleinere suchen Verbündete, selbstlose Solidarität ist eher die Seltenheit. Dennoch sind unter dem Strich - bisher - alle der Meinung, dass ihre Interessen im großen Konvoi der Eurozone besser aufgehoben sind als außerhalb. Für EU-Länder, die nicht der EURO-Währungsverbund angehören, wie Großbritannien, Schweden, Polen etc. sieht das partiell anders aus.
Katastrophenszenarien
Wenn bisher alle EURO-Länder an der gemeinsamen Währung festhalten (wollen), so scheint das nicht zuletzt an den Horrorszenarien zu liegen, die für den Fall eines Austritts oder Zerbrechens der Eurozone an die Wand gemalt werden. Das finanzpolitische, wirtschaftliche und politische Chaos wird in apokalyptischen Farben heraufbeschworen, die große Angst vor dem Untergang Europas, ja der Weltwirtschaft wird mit aller Macht geschürt. Wegen der befürchteten Ansteckungsgefahr wurde sogar ein Austritt Zyperns abgelehnt, obwohl es sich bei Zypern um eine wirklich sehr kleine Volkswirtschaft handelt.
Es ist schwer, wenn nicht sogar unmöglich, den Wirklichkeitsgehalt dieser Szenarien zu beurteilen. Gerade unter Ökonomen gibt es ganz unterschiedliche und gegensätzliche Ansichten. Natürlich wird es darauf ankommen, wie etwa die Suspendierung, der Austritt eines oder mehrerer Länder, der Umbau oder die Auflösung der EURO-Währungszone gestaltet wird. Ein ungeordnetes Auseinanderbrechen der Eurozone wäre sicherlich mit ganz erheblichen Schäden verbunden. Niemand kann auch fatale Nebenwirkungen ausschließen, wenn der EURO-Währungsraum umgebaut wird oder zusammenbricht.
Hinter den verschiedenen Meinungen stehen immer auch massive Interessen der verschiedenen politischen und ökonomischen Akteure. In Deutschland haben z. B. die Exportindustrie und Teile der Finanzwirtschaft ganz andere Interessen als etwa der Mittelstand. Das gilt auch für die internationalen Akteure, man denke nur an den Finanzinvestor Soros mit seinen angeblich altruistischen Vorschlägen oder an die angelsächsisch geprägte internationale Finanzindustrie. Alle versuchen zu suggerieren, dass allein sie das Allgemeinwohl auf nationaler, europäischer oder internationaler Ebene vertreten.
Auffällig ist, dass sogar die Regierungen Zyperns, Griechenlands, Portugals und Spaniens am EURO festhalten wollen, obwohl das eine Politik bedingt, die die eigenen Mehrheiten gefährdet und das Ende ihrer Regierungen bedeuten könnte - was in der jüngsten Vergangenheit ja bereits geschehen ist. Ist es Verantwortungsbewusstsein für die übergeordnete Europapolitik oder die Aufrechterhaltung der Weltwirtschaft? Wollen sie die Schuld nicht auf sich laden, wenn das ganze Gebäude zusammenkracht? Werden sie unter Druck gesetzt? Welches Eigeninteresse haben sie an einem Verbleib im EURO-System und wie stark ist dieses Interesse?
Sicher wollen sie einen Staatsbankrott mit seinen Folgen vermeiden, obwohl es in der Geschichte genug Beispiele für einen erfolgreich überstandenen Staatsbankrott gibt. Ein europäischer Bail-out oder ein Schuldenschnitt schafft Erleichterung. Eine nicht ganz unbegründete Vermutung geht dahin, dass mittelfristig und auf längere Sicht - über die bereits bestehenden Subventionen im EU-Rahmen hinaus - große Finanztransfers erwartet werden, die ein Ausharren in der prekären, gegenwärtigen Situation als sinnvoll erscheinen lassen. Die ganze Diskussion um Eurobonds, eine Haftungsgemeinschaft oder auch die Bankenunion dreht sich letztlich um diesen Punkt.
Deutsch-französischer Motor
Die deutsch-französische Zusammenarbeit ist das Herzstück des europäischen Einigungswerks. Ohne eine deutsch-französische Übereinkunft in zentralen Fragen geht nichts in Europa. Allerdings reicht sie auch nicht aus, wenn bedeutende Entscheidungen anstehen: Verbündete sind notwendig, die die Politik mittragen. Deutschland und Frankreich haben ein enormes politisches Kapital in das europäische Einigungswerk investiert und über Jahrzehnte viele Krisen gemeinsam durchgestanden. Seit dem Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft in den 1950er Jahren, der Politik des leeren Stuhls de Gaulles, dem Streit um die Nachrüstung Anfang der 80er Jahre, der deutschen Wiedervereinigung 1989/1990 und der EU-Erweiterung ist sehr viel erreicht worden.
Jeder weiß das und doch entsteht in letzter Zeit der Eindruck, dass dieses gewachsene Vertrauenskapital zunehmend aufs Spiel gesetzt wird. Aus Deutschland kommen Mahnungen und Kritik an die Adresse von Staatspräsident Hollande, endlich durchgreifende Reformen einzuleiten und durchzusetzen. Selbst wenn von deutscher Seite vorausgeschickt wird, dass unter Freunden auch Kritik möglich sein muss, ist das nicht immer hilfreich. Es ist kein Geheimnis, dass Hollandes Mehrheit in Parlament und Senat solche "Reformen" entschieden ablehnt. Gegen einen Coup, wie Kanzler Schröder ihn mit der Agenda 2010 gewagt hat, haben sich die französischen Sozialisten und ihre Verbündeten schon massiv verwahrt und tief eingegraben.
Aus Frankreich kommen Sticheleien, die die deutsche Wesensart wie in alten Zeiten pauschal kritisieren. Im liberalen Mainstream-Blatt "Le Monde" erscheint ein ganzseitiger Artikel mit der Überschrift "L´ Allemagne paiera!" (Deutschland wird/muss zahlen), der die deutschen Zahlungsverpflichtungen aus dem Versailler Vertrag von 1919 referiert und Folgerungen für heute zieht (8.6.2013). Wäre Europa schon stärker zusammen gewachsen, könnte man das als den üblichen innenpolitischen Streit (Bayern gegen Preußen) abtun. Aber soweit sind wir in Europa eben noch nicht. Es droht eher ein Rückfall in alte Wahrnehmungs- und Verhaltensmuster, die das Klima vergiften und Lösungen erschweren.
Die Quelle des gegenseitigen Irritation ist der EURO und das Ringen um seine Zukunft. Die damit gestellten Fragen sind komplex und betreffen Politik- und Wirtschaftsbereiche, die in ihren Auswirkungen vom Normalbürger kaum zu überschauen, geschweige denn zu beurteilen sind. Wer kennt schon die Verästelungen der Geldpolitik oder hat den Durchblick über die komplizierten und langwierigen Entscheidungsprozesse in Brüssel? Umso größer ist die Versuchung, mit Verallgemeinerungen, Ängsten und dem Rückgriff auf längst überwunden geglaubte Vor- und Fehlurteile zurückzugreifen. Der EURO sollte die Menschen in Europa zusammenführen, er sollte ein solider Stützpfeiler des europäischen Einigungswerkes werden. Nun produziert er Risse, die das gesamte Gebäude mit dem Einsturz bedrohen.
Die Irritation der Bürger in Deutschland und Frankreich speist sich nicht nur aus den EURO-Problemen, sondern richtet sich auch gegen die EU insgesamt. Die rasche und geographisch weit ausholende EU-Erweiterung u. a. hat viele Franzosen und Deutsche verunsichert, die Freizügigkeit und das Schengen-Abkommen werfen immer wieder Fragen auf, wenn Missbrauch aufgedeckt wird. Die Brüsseler Bürokratie, die unnötig mit Einzelregelungen in viele Lebensbereiche eingreift, ist ein Ärgernis. Brüssel wird als Wasserkopf empfunden, wo die Mitarbeiter glauben, wegen ihrer Gehälter Streiks leisten zu können, obwohl sie wesentlich mehr verdienen, als die Beamten in den Mitgliedstaaten etc.
Gewarnt sei vor einem deutschen Alleingang in Sachen EURO, wie in einigen angelsächsischen Medien (u. a. The Economist vom 15. 06. 2013), aber auch von Polen (Außenminister Sikorski) suggestiv empfohlen wird. Das gilt auch für die EURO-Rettung, was immer man darunter versteht. Deutschland ist nicht der "Hegemon", auch nicht der "widerwillige Hegemon", als der es neuerdings dargestellt wird. Wir würden schon im Ansatz den Widerspruch Frankreichs provozieren und uns finanziell, vor allem politisch hoffnungslos übernehmen. Deutschland hat nach zwei verlorenen Weltkriegen nicht den politischen Kredit in Europa, eine erfolgreiche Führungsmacht zu sein. Manchmal hat man den Eindruck, dass diejenigen, die uns die Rolle einer europäischen Führungsmacht anpreisen, insgeheim nur auf den deutschen Geldbeutel schielen.
Der EURO ist ein politisches Projekt und das Knäuel muss politisch aufgelöst werden. Deutschland und Frankreich müssen gemeinsam für Abhilfe sorgen. Ohne die enge deutsch-französische Zusammenarbeit gibt es kein Weiterkommen. Zur Zeit wird allerdings das in Jahrzehnten aufgebaute gegenseitige Vertrauenskapital strapaziert.
Frankreich
Frankreich hat den EURO durchgesetzt. Präsident Mitterrand verfolgte damit mehrere Ziele: die Verhinderung einer vom wiedervereinigten Deutschland erreichbaren währungspolitischen Dominanz in Europa mittels der Bundesbank; gewichtige Mitsprache Frankreichs in währungspolitischen Fragen Europas, d. h. Brechung des Entscheidungsmonopols der Bundesbank im alleinigen oder zumindest vorrangig deutschen Interesse; Abschaffung der Bundesbank als Kern und Symbol wiedergewonnener deutscher Souveränität. Das war der Preis für die Zustimmung zur Wiedervereinigung und dem damit verbundenen Machtzuwachs Deutschlands. Mitterrand war wichtig, Deutschland auch währungspolitisch "einzuhegen". Dem französischen Staatsdenken entsprach zudem die Unterwerfung der Währungspolitik unter den Willen der politischen Führung.
Der deutsche Widerstand war allerdings erheblich und nicht alle französischen Ziele konnten sofort erreicht werden. Die Ziele blieben jedoch gleich. Der Einfluss auf die Europäische Zentralbank (EZB) konnte nach und nach durch eine geschickte Personalpolitik ausgeweitet werden. Auf den Niederländer Wim Duisenberg folgten der Franzose Jean-Claude Trichet und der Italiener Mario Draghi als Präsidenten der EZB. Auch im EZB-Rat konnten Personen durchgesetzt werden, die den währungs- und wirtschaftspolitischen Vorstellungen der französischen Regierungen mehr entsprachen. Der deutsche Einfluss wurde nach dem Rücktritt Axel Webers und Jürgen Starks erheblich reduziert. Die Mehrheiten im EZB-Rat haben sich zuungunsten Deutschlands verschoben.
Ein massiver erster Durchbruch gelang dem französischen Präsidenten Sarkozy im Mai 2010, als die EZB erstmals Staatsanleihen der Krisenländer Griechenland, Portugal und Italien aufkaufte und das Verbot der Staatsfinanzierung unterwanderte. Seither ist die Entwicklung weiter gegangen und die währungspolitische Orthodoxie immer mehr verlassen worden. Die französische Regierung drängt auf die Fortsetzung dieser Entwicklung. Das Anleihekaufprogramm OMT, das die EZB im September 2012 angekündigt hat, sieht unter bestimmten Voraussetzungen den unbegrenzten Ankauf von Staatsanleihen vor. Die Frage, ob das noch Geldpolitik oder schon (verbotene) Staatsfinanzierung ist, schert die französische Regierung wenig. Das sind Subtilitäten deutscher Juristen, von denen man sich nicht aufhalten lassen will (Sarkozy).
Hinter diesen personellen und inhaltlichen Verschiebungen werden handfeste Interessen sichtbar. Frankreichs Interessen gehen in Richtung einer weiteren Lockerung und Ausdehnung der Geldpolitik, um die (angeblich von Deutschland verhängte) "Austeritätspolitik" in der EU zu überwinden. Der auf Frankreich lastende Reformdruck soll durch Wirtschaftswachstum gemildert werden. Der von der Regierung Frankreichs erhobene Ruf nach "mehr Solidarität" ist ein Ruf nach mehr Geld, sehr viel mehr Geld. Frankreich macht sich zum Wortführer der Regierungen der Krisenstaaten, die auf eine ähnliche Politik hoffen. Präsident Hollande will auf diese Weise sein politisches Gewicht in Europa erhöhen und - wie er es sieht - mit Deutschland wieder auf Augenhöhe verhandeln. Die engen französischen Wirtschaftsbeziehungen zu den südlichen Krisenstaaten legen eine solche Politik ohnehin nahe, Frankreich hat viel zu verlieren, wenn diese aus dem Euroraum herausfallen.
Bisher ist nicht zu erkennen, ob Präsident Hollande bereit ist, eine Gegenleistung zu erbringen. Durchgreifende Reformen in Frankreich nimmt er nicht in Angriff, dafür ist seine Regierung zu schwach und seine Mehrheiten bröckeln. Je länger er wartet, umso schwieriger wird es. Außer vagen Vorstellungen einer europäischen "Wirtschaftsregierung" gibt es nichts, was auf einen französischen Beitrag zu "mehr Europa" hinweisen könnte, wie das von der Regierung Merkel angestrebt wird. Für "mehr Europa" fehlen Hollande zudem die Mehrheiten im eigenen Lande. Seine eigene Partei, der Parti Socialiste, ist in der Europafrage gespalten, wie sich beim Referendum zum EU-Verfassungsvertrag 2005 gezeigt hat. Sein eigener heutiger Außenminister, Laurent Fabius, war einer der Wortführer der Europaskeptiker, die mit "Nein" stimmten. Präsident Hollande lehnt sich zurück und wartet. Andere sollen aushelfen, mit Geld, sehr viel mehr Geld. Solidarität wird von den Partnern erwartet, für Frankreich gilt - polemisch gesagt - die "exception francaise" (Frankreich ist die Ausnahme).
Verbündete finden Präsident Hollande und die südeuropäischen Krisenstaaten in der angelsächsisch dominierten internationalen Finanzindustrie. Die internationale Finanzindustrie drängt auf eine Politikänderung der EZB, um sicher zu stellen, dass die Kredite, die sie mit Risikoaufschlägen an die Schuldnerstaaten vergeben hat, zurückgezahlt werden, - und dass im Zweifel jemand dafür bürgt. Richtig ist allerdings auch, dass die Zentralbanken der USA, Großbritanniens und Japans auf dem Weg extrem lockerer Geldpolitik schon sehr viel weiter vorangegangen sind. Mit großem publizistischen und wissenschaftlichem Aufwand wird versucht, diese Geld- und Währungspolitik als die einzig mögliche Reaktion auf die - von der Wall Street und der Londoner City verursachte - Finanz- und Wirtschaftskrise von 2007/2008 hinzustellen. Möglicherweise wird man am Beispiel Japans und der "Abenomics" bald sehen, wie weit diese Politik trägt.
Deutschland
Die deutsche Regierung hat 1989/1990 dem Verzicht auf die D-Mark "nolens, volens" zugestimmt. Helmut Kohl hat dann allerdings die Entscheidung "Einheit gegen D-Mark" konsequent um- und durchgesetzt. Einigen deutschen Bedenken wurde Rechnung getragen: vertraglich festgezurrt wurde u. a. der Haftungsausschluss unter EURO-Ländern, die Unabhängigkeit der EZB und das Verbot der Staatsfinanzierung. Wie man später lernen musste, waren diese vertraglichen Bindungen das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt waren. Bei den ersten Krisen 2003 wurden die Prinzipien von Deutschland und Frankreich selbst aufgeweicht und im Mai 2010 beim ersten Hilfspaket für Griechenland weggeschwemmt. Seither suchen die deutsche und europäische Politik mit der EZB unter Einbindung des Internationalen Währungsfonds (IWF) - mit reger Beteiligung der internationalen Finanzindustrie - nach einer Lösung.
Ein endloser und quälender Reformprozess ist die Folge. Die Interessenkonflikte treten offen zu Tage, insbesondere zwischen europäischen Schuldner- und Geberländern. In seiner Folge werden die alten innereuropäischen Stereotype wieder wach und vergiften zunehmend das Klima. In den Krisenländern, aber nicht nur dort, wird mit dem Finger auf Deutschland gezeigt, das für die Folgen der Schuldenpolitik verantwortlich gemacht wird. Die Wirtschaftsrezession mit ihren schwerwiegenden Folgen werden der "Austeritätspolitik" angelastet, die von Deutschland ausgehen soll. Arbeitslosigkeit, teilweise Verelendung, Hoffnungslosigkeit der Jugend, alle sozialen Verwerfungen in den Gesellschaften der Krisenstaaten werden der deutschen Politik angelastet, die mit ihrem wirtschaftlichen Gewicht angeblich ihre egoistischen Interessen in Brüssel und über Brüssel durchsetzt. Die Anklage findet auch in den internationalen Medien ein Echo (z. B. Economist vom 15. 06. 2013, Sprachrohr der internationalen Finanzmärkte).
Deutschland Zahlmeister?
Allzu verwundert sollte man darüber in Deutschland nicht sein. War man doch in der EU und in der Welt daran gewöhnt, dass die Deutschen im Zweifel immer zahlen. Die Erfahrung war: Man muss die Deutschen nur gehörig unter Druck setzen und weich klopfen, dann machen sie den Geldbeutel schon auf. Das galt im westlichen Bündnis, wie z. B. beim ersten Irakkrieg 1991, das galt in der EU beim sog. Britenrabatt, den Frau Thatcher herausgeschlagen hat, und das galt in der EU ganz generell. Immer wenn man nach Geld suchte, richtete sich der Blick auf Deutschland. Selbst für die unsinnigsten Projekte erwartete man einen deutschen Finanzbeitrag. Nun ist die Überraschung groß, dass das nicht mehr zu funktionieren scheint. Ein europäisches Grundgesetz scheint in Frage gestellt.
Auch die Deutschen selbst hatten sich an ihre Zahlmeisterrolle gewöhnt. Sie gehen meist resigniert davon aus, dass ihre Regierungen irgendwann einknicken, weil die deutschen Politiker glauben, noch immer die Schuld des 2. Weltkriegs abtragen zu müssen. Nun wollen sie nicht mehr. Der Grund ist allerdings nicht so sehr die verblassende Erinnerung an den Weltkrieg, der immerhin fast 70 Jahre zurück liegt. Sie wollen nicht mehr, weil sie nicht mehr können: Die Solidaritätslasten, die den Deutschen zur Rettung des EURO aufgebürdet werden sollen, sind so enorm, dass ein Innehalten, eine sorgfältige Prüfung und ein Abwägen der Vor- und Nachteile der Übernahme deutscher Verpflichtungen unabdingbar geworden ist. Es kann nicht sein, dass jemand "Europa" ruft, alles kniet nieder und Deutschland stellt einen Blankoscheck aus. Diese Einstellungen scheint bei vielen europäischen und deutschen Politikern verbreitet zu sein.
Deutsches nationales Interesse
Es gibt Gründe, warum Deutschland sich die EU einiges kosten lässt. Die EU hat für die deutsche Außenpolitik entscheidende Bedeutung. Seit der Reichsgründung 1870/1971 war es Deutschlands Problem, tendenziell die hegemoniale Macht in Europa zu sein, ohne die tatsächliche Hegemonie jemals erreichen zu können. Deutschland gelang es nicht, seine Beziehungen im europäischen Kräftespiel so zu ordnen, dass es der politischen Isolation entkam. Die Folge waren zwei Weltkriege und die bedingungslose Kapitulation 1945. Die Pflege der Beziehungen und der Ausgleich der Interessen in der EU ist deshalb in Deutschlands vitalem Interesse.
Ohne die Einbindung in die EU wäre sicherlich auch die Wiedervereinigung nicht möglich gewesen. Nach der Wiedervereinigung ist Deutschland in Europa wirtschaftlich wiederum tendenziell hegemonial und hat ein zwingendes Interesse am Erhalt und Ausbau der EU, ohne die es erneut in Europa in die Isolation abgedrängt würde - mit unabsehbaren Folgen. Die europäische Einigung ist und bleibt das deutsche "nationale Interesse" (vgl. Guntram von Schenck, "Europa und das deutsche nationale Interesse", und "Kontinuität deutscher außenpolitischer Interessen im 20. Jh.", in: www.guntram-von-schenck.de).
Die Frage kann deshalb nicht sein, ob Deutschland EU-freundlich ist oder nicht, pro-europäisch ist oder nicht. Es ist zu hundert Prozent für den Auf- und Ausbau Europas. Das ist noch vor der grundsätzlich pro-europäischen Gesinnung eine Frage der politischen Klugheit und des politischen Eigeninteresses. Daraus folgern Pflichten und Verantwortung. Das kostet auch etwas - kein Zweifel. Die Frage ist nur, wie viel wir dafür einsetzen wollen und können. Kann das heißen, dass wir sehenden Auges mit der sog. Eurorettung in die Katastrophe laufen, weil wir überfordert werden? Oder dass wir blindlings den Schalmaientönen derer folgen, die uns dank Eurorettung das Blaue vom Himmel und den ewigen Wohlstand und Frieden in Europa versprechen?
Geht es schief, hat nicht nur Deutschland den Schaden sondern ganz Europa wird in Mitleidenschaft gezogen.
Meinungsbildung und Volksabstimmung
Es bedarf einer eingehenden Debatte, wie es mit dem EURO weitergehen soll. Leider liefert uns die Bundesregierung die Zahlen und Argumente nicht, die dafür notwendig wären. Vielmehr hat man den Eindruck, dass im Verborgenen gehandelt und entschieden wird - und künftig auch entscheiden werden soll. Die Oppositionsparteien im Bundestag sehen ebenfalls keine Notwendigkeit, für die erforderliche Klarheit zu sorgen.
Gibt es tragfähige und nachvollziehbare Schätzungen, wie viel der deutsche Steuerzahler bei einem Austritt aus der Eurozone abschreiben muss? Es gibt seitens der Bundesregierung nur ein allgemeines Katastrophengemälde. Gibt es tragfähige und hinreichend nachvollziehbare Schätzungen der Bundesregierung, wie viel der deutsche Steuerzahler bei der beabsichtigten Eurorettung über jährliche Transferzahlungen an die Krisenstaaten überweisen muss? Sind es maximal 50, 100 oder gar 150 Milliarden? Die Behauptung, dass es so gut wie nichts kostet, kann nicht sein; denn dann gäbe es an der südlichen europäischen Peripherie ja gar keine Krise. Wie hoch ist die Haftung, in die Deutschland jetzt schon im Rahmen der Eurorettung eingetreten ist? Die Bundesregierung redet sie klein, Hans-Werner Sinn nennt einen Betrag wenig unter 1000 Milliarden. Welche Haftungssummen kommen mit dem Anleihekaufprogramm der EZB (OMT) auf uns zu? Die EZB nennt 146 Milliarden, Hans-Werner Sinn 369 Milliarden, möglicherweise sogar 920 Milliarden Euro (vor dem BVerfG am 12.06.2013).
Gleichgültig welche Zahlen stimmen, der deutsche Steuerbürger schüttelt sprachlos den Kopf. Wer hat unserer politischen Klasse, wer hat der Bundesregierung das Mandat erteilt, für solche Summen Verpflichtungen einzugehen? Die deutschen BürgerInnen jedenfalls nicht, sie wissen gar nicht, was ihnen geschieht. Eins aber ahnen sie: wenn es schief geht, sind sie die Dummen, wie 1918 und 1945. Wir Bürger müssen uns selbst einen Reim darauf machen und die deutschen Interessen formulieren.
Wir müssen klar sagen, was wir wollen oder nicht wollen - und letztlich mit einer Volksabstimmung darüber entscheiden können. Warum sollte in Deutschland nicht gehen, was bei unseren Nachbarn üblich ist? In Frankreich z. B. hat es bereits zweimal Volksabstimmungen zu Europafragen gegeben, in Großbritannien hat Premier David Cameron eine Volksabstimmung für 2017 versprochen.
Modell Italien?
Was wir nicht wollen können, ist ein Europa, das nach dem Modell Italiens funktioniert. Das "Modell Italien" besagt, dass der Norden endlos für den Süden zahlt, wie das in Italien seit der Gründung des Nationalstaats im 19. Jahrhundert der Fall ist. Der Norden zahlt für den Süden, den sog. Mezzogiorno bis heute, ohne dass sich der Süden entwickelt und eine selbst tragende Wirtschaft entwickelt hätte. Was sich entwickelt, sind mafiöse Strukturen, die die Subventionen absaugen und den Süden im Griff behalten. Kein Wunder, dass in Norditalien immer wieder Forderungen nach einer Sezession erhoben werden (z. B. Lega Nord). Folgt man der inneren Logik der Eurorettung, so geht es darum, das "Modell Italien" auf die Eurozone zu übertragen. Der Norden, d. h. vor allem Deutschland, die Niederlande, Finnland etc. sollen dauerhaft für die Defizite des Südens von Griechenland über Italien bis Portugal aufkommen. Da im Süden die notwendigen Reformen und Korrekturen nicht oder unzureichend gemacht werden, ist absehbar, dass sich im Subventionsklima alsbald wie im italienischen Mezzogiorno mafiöse Strukturen bilden. Eigentlich muss man sagen, sie sind schon vorhanden und harren nur der Verstetigung, Erweiterung und Verfeinerung.
Es darf also keinen finanziellen Dauertransfer in die südlichen Peripheriestaaten geben.
Vorbereitung des europäischen Bürgerkriegs?
Auch das Interesse der Einheit Europas verbietet einen solchen Dauertransfer. Die Erfahrung mit Italien zeigt, dass mittelfristig bei den Gebern die Frage nach einer Sezession, nach einer Trennung aufkommt - und das in einem etablierten Nationalstaat. In Jugoslawien wollten die Slowenen und Kroaten nicht länger für den Süden, insbesondere die Serben bezahlen, die Folge war die Abspaltung und ein verheerender Bürgerkrieg. In Spanien fordern die Katalanen die Unabhängigkeit, weil sie wollen, dass das, was in Katalonien erwirtschaftet wird, in Katalonien bleibt und nicht in Südspanien versickert. In Schottland gibt es Unabhängigkeitsbestrebungen, weil u. a. die Erlöse des Nordseeöls in Schottland bleiben sollen und nicht mit London geteilt werden müssen. In Belgien will der florierende flämische Norden nicht für den stagnierenden wallonischen Süden bezahlen und gefährdet damit den Zusammenhalt des Staates.
Man kann unschwer daraus schließen, dass dauerhafte Finanztransfers den Unmut der Geber schüren und Sezessionsbestrebungen bis hin zum Bürgerkrieg fördern. Das gilt besonders, wenn ethnische, historisch bedingte Mentalitätsunterschiede, religiöse oder nationale Identitäten das Unterfutter, die Folie für Sezessionen abgeben, was in Europa in zwanzig oder mehr Jahren voraussichtlich weiterhin der Fall wäre. Diejenigen, die uns das US-Beispiel der Geld-und Währungspolitik im 19. Jahrhundert als beispielhaft für die Einigungspolitik Europas in der Eurokrise anpreisen, seien daran erinnert: Eine durchaus plausible Theorie zum Ursprung des amerikanischen Sezessionskriegs (1861-1865) besagt, dass es in erster Linie Währungsstreitigkeiten zwischen den Süd- und Nordstaaten und nicht die Sklavenfrage waren, die den Sezessionskrieg provozierten.
An der Vorbereitung eines europäischen Bürgerkrieges, auch wenn er sich vorerst nur als fernes Wetterleuchten abzeichnet, beteiligen wir uns nicht.
Menetekel Ruhrgebiet
Letztes Beispiel für die Problematik dauerhafter Finanztransfers ist Deutschland selbst. Der Länderfinanzausgleich ist und bleibt umstritten. Ein starkes nationales Verbundenheitsgefühl hat bisher verhindert, dass die Streitigkeiten ausuferten. Im Auge behalten sollte man allerdings das Ruhrgebiet. Einst war es das industrielle und wirtschaftliche Kraftzentrum Deutschlands. Im Länderfinanzausgleich hat es solidarisch jahrzehntelang Finanzleistungen für andere finanzschwache Länder, auch Bayern erbracht. Diese Mittel fehlten, um die eigene Wirtschaftstruktur rechtzeitig zu modernisieren und umzubauen. Heute ist das Ruhrgebiet ein Schatten seiner selbst, die Kommunen sind hoch verschuldet, die Menschen ziehen weg, die Schulen verfallen und Straßen können nicht mehr repariert werden. Der Ruhrpott gehört in Deutschland zu den am meisten von struktureller Armut bedrohten Regionen. Am Ruhrgebiet kann man die deutsche Zukunft in einer europäischen Transferunion studieren.
Das Ruhrgebiet zeigt, wohin es führt, wenn Deutschland sich mit Transferzahlungen und anderen Verpflichtungen für Europas Krisenländer übernimmt.
Die Deutschen ärmer als andere EU-Bürger
Eine von der Europäischen Zentralbank in Auftrag gegebene und im April 2013 veröffentlichte Untersuchung zeigt zudem, dass die Deutschen im Schnitt ärmer sind als die meisten anderen EU-Bürger. Das gilt sogar für die Krisenstaaten: Spanien, Italien, Griechenland, auch Zypern. Diese Zahlen sind interpretationsbedürftig und mögen nicht alle Komponenten des "Vermögens" der Deutschen und anderer Europäer richtig einordnen und gewichten. Aber eine Studie der italienischen Notenbank vom Frühjahr 2013, deren erkenntnisleitendes Interesse bestimmt nicht war, die Deutschen arm zu rechnen, kommt im Wesentlichen zu ähnlichen Ergebnissen. Das passt nicht ins Bild und wird von interessierten Kreisen, u. a. in den Medien, die die Deutschen auf die Übernahme gewaltiger zusätzlicher Lasten zur EURO-Rettung einstimmen wollen, relativiert und mit vielen Fragezeichen versehen. Aber das Faktum bleibt: die meisten anderen Europäer sind im Schnitt reicher als die Deutschen.
Warum sollten die Deutschen neue, schwere finanzielle Lasten zur EURO-Rettung schultern, bevor nicht die anderen, reicheren EU-Bürger in den Krisenstaaten ihren Beitrag geleistet haben?
Dosierte und temporäre Hilfeleistungen
Wer will im Grundsätzlichen die Solidarität der Reichen und Starken mit den Armen und Schwachen in Frage stellen? Deutschland hat insbesondere in der EU aber auch weltweit bewiesen, dass es sich dieser Verantwortung stellt. Aber was zu viel und überdies falsch ist, kann nicht von Deutschland abverlangt werden. Dauerhafte große Finanztransfers und Umverteilungen von Nord nach Süd sind deshalb abzulehnen, gleichgültig ob es sich um Direktzahlungen, Eurobonds, Zinssubventionen oder den "unbegrenzten" Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB handelt. Der Erfindungsgeist der interessierten Kreise scheint unerschöpflich, wenn es um Instrumente der Umverteilung geht. Deutschland hilft, wenn wir nachgeben, nicht wirklich, sondern schafft den Nährboden für schwerwiegende Verwerfungen in Europa, die bis zu einem neuen europäischen Bürgerkrieg - siehe Jugoslawien - führen können. Hilfeleistung kann nur dosiert und temporär geleistet werden.
Deutsch-französische Konfrontation?
Dem französischen Ruf nach mehr Solidarität, nach mehr Geld steht der deutsche Einwand entgegen, dass Solidarität Grenzen hat, dass auch Anstrengungen der Empfänger unerlässlich sind. Sonst werden die Geber überfordert und der Boden für europäischen Dauerzwist in der Zukunft bereitet. Kommt es zu einem deutsch-französischen Zusammenstoß, der das gemeinsame Projekt Europa gefährdet? Welche Druckmittel haben beide Seiten in der Hand, um ihre Positionen weitestgehend durchzusetzen?
Frankreichs Drohung ist die Isolierung Deutschlands. 2014 werden die Gedenktage für den Ausbruch der Ersten Weltkrieges stattfinden. Nicht nur Frankreich bereitet sich intensiv darauf vor. Die Jahre vor 1914 sollten uns Deutschen zu denken geben. Die politische Isolierung ist keine leere Drohung, die Franzosen sind darin recht geschickt, schließlich haben sie es schon einmal mit Erfolg praktiziert. Die angebliche Beliebtheit und Akzeptanz der Deutschen und ihrer Politik könnte sich schnell ins Gegenteil verkehren, das nach dem Krieg gewonnene Vertrauen wäre schnell verspielt.
Das deutsche Druckmittel ist die Auflösung der Eurozone. Die Bundesbank würde über kurz oder lang wieder zum Währungsanker für viele europäische Staaten und der Rest Europas müsste sich "nolens, volens" - wie vor Einführung des EURO - daran orientieren. Eine Horrorvision für Frankreich. Genau das wollte Mitterrand mit dem EURO ausschließen.
Wenn beide Seiten ihren Willen durchsetzen wollen, wird es zu einer öffentlich geführten Auseinandersetzung und Konfrontation kommen, die nicht nur den EURO sondern Europa zerreißt. Deutschland und Frankreich müssen tief in diesen Abgrund blicken, damit sie zurückschaudern und erkennen, dass sie gemeinsam handeln müssen.
Wir brauchen einen Kompromiss! *
* Der Kompromiss sollte allerdings nicht zulasten Dritter gehen: vgl. den sehr interessanten Artikel von Paul Jorion, La "troika" à hue et à dia, Le Monde vom 18. 06. 2013, Éco&Entreprise, S. 18
Dr. Guntram von Schenck Juni 2013
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