Guntram von Schenck, Mai 2014


Thomas Piketty: "Das Kapital im 21. Jahrhundert"

Ein Kommentar - aus der Spätantike

Augustin und Pelagius : Die Kontroverse um Armut und Reichtum

Wer würde schon vermuten, dass ein spätantiker Streit von Bedeutung für das 21. Jahrhundert sein könnte? Und doch liest sich der Streit zwischen Augustinus und Pelagius wie ein Kommentar zu einem heute hochaktuellen Thema. Nicht erst seit dem sensationellen Bucherfolg von Thomas Piketty (Le Capital au XXI siècle, 2013; Capital in the Twenty-First Century, 2014 , Das Kapital im 21. Jahrhundert, C.H.Beck, 2014) wird zu Beginn dieses Jahrhunderts die wachsende Ungleichheit der Verteilung von Reichtum wieder zum zentralen Thema. 62 der reichsten Personen besitzen die Hälfte des weltweiten Vermögens. Die Reichen werden immer reicher, der Mittelstand läuft Gefahr abzustürzen und die Armen haben keine wirkliche Chance.

Der große Kirchenvater Augustinus (353 - 430) hat dieser Auseinandersetzung um "arm" und "reich" die letzten Jahrzehnte seines Lebens (ca. 410 bis zu seinem Tod 430) gewidmet, als er die Lehren des Pelagius (ca. 350 - 420) bekämpfte. Es ist die Zeit dramatischer Umbrüche, genauer die Zeit des Untergangs des Weströmischen Reiches: 410 n. Chr. eroberten und plünderten die Westgoten die ehrwürdige Hauptstadt Rom, 430 standen die Vandalen vor den Toren von Augustins Bischofsstadt Hippo (heute Annaba im Nordosten Algeriens). Eine Welt ging unter. Was waren die Ursachen, was war falsch gelaufen? Die Abfolge von Katastrophen warf Fragen auf, die auch die soziale Gerechtigkeit betrafen, die Verteilung von Reichtum und Armut.

Es war die letzte große Kontroverse des Altertums. Erst ein Jahrtausend später wird es mit der Reformation eine ähnlich weitreichende, theologisch-politische Auseinandersetzung geben. Ausgetragen wurde die Kontroverse zu Beginn des 5. Jahrhunderts von Theologen, die mit dem Wort Gottes, wie sie es in der Bibel vorfanden, die Probleme ihrer Zeit angingen und zu lösen versuchten. Dabei konnten sie auch aus dem reichen Fundus der griechischen Philosophie schöpfen. Es war die Geburtsstunde des christlichen Abendlandes. Mit dem Werk "De Civitate Dei" (Vom Gottesstaat), das den Höhepunkt und Abschluss der Argumentation Augustins gegen Pelagius bildete, wurde ein wichtiger Grundstein für die west-römische Kirche gelegt.

Augustinus wurde im Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert vor allem unter theologischen Fragestellungen gelesen. Historiker haben in jüngerer Zeit begonnen, die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Hintergründe herauszuarbeiten. Sie sind dabei zu faszinierenden Ergebnissen gekommen. Augustinus hat seine Theologie nicht im Gelehrtenstübchen erarbeitet, sondern im nahezu täglichen Umgang mit den Problemen seiner Zeitgenossen. Er predigte nicht von der hohen Kanzel, er stand unmittelbar vor und mitten unter seinen Zuhörern. Er musste auf sie eingehen, musste sie überzeugen. Über zehntausend Predigten, die zum Teil als originale Mitschriften erhalten sind, legen davon ein lebendiges Zeugnis ab. Er wusste, wovon er sprach. Das großartige Buch von Peter Brown, Through the Eye of a Needle. Wealth, the Fall of Rome, and the Making of Christianity in the West", 350-550 AD, Princeton University Press 2012 fasst die Forschung zusammen.

Historischer Kontext

"Eher geht Kamel durch ein Nadelöhr als dass ein Reicher in den Himmel kommt" (Mt 19,24; Mk 1025; Lk 18,25). Dieses Wort Christi steht am Ausgangspunkt des Streits. Es steht auch am Beginn des Siegeszuges des Christentums im antiken Rom. Nur skizzenhaft (notgedrungen etwas schematisch) kann die Entwicklung hier wiedergegeben werden.

Es waren die Unterschichten: die Armen, die Unterdrückten, die Sklaven, die schon im 1. und 2. Jahrhundert das Christentum annahmen. Sie fanden Trost im Wort vom "Nadelöhr", das ihnen Gottes Himmelreich nach dem Tode versprach, das aber den Reichen und Mächtigen verwehrt wurde. Gottes Reich bedeutete Gerechtigkeit für alle. Die Armen und Unterdrückten würden empor gehoben, die Reichen tief gestürzt werden. Das war eine Botschaft, die die römische Gesellschaft, die auf rigiden Sozialstrukturen und auf als selbstverständlich durchgesetzter Sklavenarbeit aufruhte, direkt betraf. Diese Strukturen waren so fest verankert, dass an ein tatsächliches Aufbrechen nicht zu denken war. Trost und Gerechtigkeit konnte es deshalb nur im jenseitigen Reich Gottes geben.

Ganz oben in der Sozialstruktur der weströmischen Spätantike standen die Senatoren und mächtigen Funktionsträger der kaiserlichen Verwaltung, die überwiegend aus der Schicht der großen Landbesitzer stammten. Die Überreste mancher römischer Villen geben noch heute ein Bild vom unermesslichen Reichtum dieser Familien und Repräsentanten kaiserlicher Macht. Sie nutzten ihre Machtstellung, um ihren Reichtum und Landbesitz weiter zu vermehren. Das ging auf Kosten einer Mittelschicht, die aus Handwerkern, Kaufleuten, kleinen Laden- und Landbesitzern bestand. Auf dieser Mittelschicht lastete das ganze römische Steuersystem. Gnadenlos wurden die Steuern eingetrieben. Denn das stehende Heer an den Grenzen und die Kosten der kaiserlichen Hofhaltung verschlangen ungeheure Summen. Die Reichen und Superreichen nutzten ihre Machtstellung in Verwaltung und Rechtsprechung, um die Abgabenlast auf die Mittelschicht abzuwälzen.

Die Mittelschicht ächzte und litt unter dem Steuerdruck. Die Folge war eine ständige Abstiegsangst: viele hielten nicht Stand, gingen im Wortsinn auf die Knie und mussten sich in die Abhängigkeit eines Reichen und Mächtigen begeben oder sich unter die ganz Armen (Tagelöhner) einreihen. Augustinus erwähnt in seinen Briefen Fälle, in denen Familien Kinder in die Sklaverei verkauften, um die Steuern bezahlen zu können. Die Abstiegsängste verstärkten sicherlich Furcht gepaart mit Wut auf die Reichen und Mächtigen, gegen die man sich kaum wehren konnte - jedenfalls nicht mit Erfolg. Das Christentum versprach Trost und auch Solidarität. Nicht zuletzt deshalb öffnete sich die Mittelschicht dem Christentum und das Christentum setzte sich im 3. und 4. Jahrhundert in den weströmischen Provinzen nach und nach auch in diesen Bevölkerungsgruppen durch. Die Mittelschicht stellte bald in Rom und in den Provinzen den Klerus und die Bischöfe. Auch Augustinus entstammt dieser Mittelschicht.

Die aristokratische Schicht der großen Landbesitzer und kaiserlichen Funktionäre verschloss sich dagegen lange dem Christentum. Sie hielt an den alten Göttern fest, die ihnen als Garanten des Aufstiegs und der Macht Roms galten. Sie pflegten einen üppigen und selbstbewussten Lebensstil, die Ausübung von Macht und die prunkvolle Zurschaustellung von Reichtum war ihnen eine Selbstverständlichkeit. Das Bild des gekreuzigten, gequälten Christus war schwerlich dazu angetan, ihnen als anbetungs- und/oder nachahmenswert zu erscheinen. Das galt für viele auch nach der Anerkennung des Christentums durch Kaiser Konstantin (312: Sieg an der Milvischen Brücke). Das spirituelle Element der neuen Religion fand dann aber allmählich doch über meist weibliche Mitglieder der Aristokratie Eingang in die Oberschicht.

Der Durchbruch kam mit den Katastrophen der Plünderung Roms 410 durch die Westgoten und der Aufgabe der Rheingrenze, wodurch Gallien, Spanien, Norditalien und bald auch Nordafrika (430) nahezu schutzlos germanischen Invasoren (und Bürgerkriegen) überlassen wurde. Fassungslos musste die alte Aristokratie den Untergang ihrer Welt mit ansehen. Sie musste sich neu orientieren, wenn sie ihre Interessen wahren und ihre Güter in die neue Zeit hinüber retten wollte. Das Christentum bot nach dem Versagen der alten Götter nicht nur eine neue religiöse Zuflucht sondern auch neue Ämter und Würden. Die Bischöfe und der höhere Klerus rekrutierten sich fortan aus der Oberschicht der großen römischen Landbesitzer. Die Aristokratie der großen Landbesitzer diente sich den neuen germanischen/ barbarischen Herren an, die sie gern an ihren Höfen als Fachleute für Verwaltung und Steuererhebung aufnahm. Denn auch die neuen Herren brauchten Geld. Sie führten, so gut es eben ging, die römischen Verwaltungs- und Steuerpraktiken weiter.

Das ist der historische Kontext des Theologenstreits zwischen Augustinus und Pelagius. Wie war unter den sich verändernden Umständen das Seelenheil der Reichen und Mächtigen zu erlangen? Wie haben sich die Theologen und die Kirche bei den Vorgaben des Christentums ("Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr...") mit den neuen Realitäten auseinander gesetzt und/oder arrangiert?

Pelagius: Wie kommt man - durch das Nadelöhr - in den Himmel?

Zeiten großer Umbrüche sind auch der Nährboden neuen radikalen Denkens. Pelagius machte ab 390 in Rom mit seiner Lehre vom freien Willen Furore: der Mensch kann stets das Gute tun und das Böse lassen - er muss sich dabei nur an Christus orientieren. Ahmt er Christus nach, kann der Mensch im Prinzip sündenfrei bleiben ("Posse non peccare"). Wo sich das Böse seit dem Sündenfall Adams in der Gesellschaft festgesetzt, eingefressen und weiterentwickelt hatte, konnte es durch den freien Willen der Menschen wieder entfernt und ausgemerzt werden.

Die Einzelheiten der Lehre von Pelagius können hier nicht nachgezeichnet werden. Die gesellschaftlichen und politischen Implikationen waren den Zeitgenossen aber klar: Was von den Menschen durch den freien Willen fehlerhaft geschaffen worden war (Römisches Reich in seiner damaligen Form), konnte durch den freien Willen auch wieder rückgängig gemacht, korrigiert und umgebaut werden. Das Römische Reich war auf Unrecht aufgebaut und drohte deshalb angesichts der Bürgerkriege und Einfälle der Barbaren zu zerbrechen und unterzugehen. Die Radikalität des Pelagius stellte die auf Ewigkeit konzipierte Dauerhaftigkeit des Römischen Reiches und seiner gesellschaftlichen Ordnung infrage.

In der Schrift "De Divitiis", die von einem Schüler des Pelagius stammt, wurde die Lehre gesellschaftspolitisch noch radikalisiert: wer dem Beispiel Christi nachfolgen will, kann das nicht als reicher Mann oder Frau tun - er oder sie kommt niemals durch das "Nadelöhr". Er oder sie muss sich seiner/ihrer weltlichen Güter entledigen, muss sich davon befreien. Einige der römischen Superreichen haben es getan (z.B. Hl. Melania). Die Aristokratie der großen Landbesitzer, die über Jahrhunderte das Römische Reich getragen hatte, sollte auf prunkvolle Selbstdarstellung und Machtfülle als Besitzer großer Landgüter verzichten. Gleichzeitig waren ihr durch den Einfall der Barbaren schon die Möglichkeit der Ausübung vieler, wichtiger Ämter im Dienst des Kaisers genommen worden. Die Selbstgewissheit der römischen Oberschicht war im Kern getroffen. Ein Pfeiler der alten römischen Ordnung begann zu wanken.

Umkehr und Askese sollten die Antwort auf die gefährlichen Zeitläufte sein. Reichtum war letztlich durch Unrecht erworben, sein Ursprung und seine Erweiterung waren auszumerzende Fehlentwicklungen. Wo zuvor Familiengüter sorgsam über Jahrhunderte zusammengehalten und vermehrt worden waren, sollte alles aufgegeben, zu Geld/Gold gemacht werden, das wiederum an die Armen verteilt werden sollte. So die Schrift "De Divitiis". Ob das auch für die Güter der Kirche selbst galt, lässt die Schrift offen, liegt aber in der Logik der Argumentation.

Augustinus: Sorge um Konsens und Stabilität

Nach der Eroberung und Plünderung Roms durch die Westgoten 410 flüchteten viele der reichen Familien Roms und Italiens nach Nordafrika, die weströmische Provinz, die vor den Barbaren sicher zu sein schien. Zuvor schon hatten sich einige der superreichen römischen Familien ausdrücklich nicht an der Sammlung von Geld beteiligt, womit Rom von der Plünderung durch die Westgoten freigekauft werden sollte. Pelagius war im Gefolge dieser wohlhabenden Familien mit einigen Anhängern (u.a. Caelestius) ebenfalls nach Afrika geflohen und begann seine Lehren zu verbreiten. Er traf auf Augustinus, Bischof von Hippo, und den afrikanischen Klerus, die die Dinge ganz anders sahen und die Herausforderung sofort annahmen.

Die abgelegene Provinz Afrika hatte sich im spätrömischen Reich anders entwickelt als Italien, Gallien oder Spanien. Weder Bürgerkrieg, noch Invasionen oder andere schwere Bedrohungen hatten Afrika heimgesucht. Afrika war die Kornkammer Roms geblieben: eine unversehrte, reiche Provinz. Die zahllosen archäologischen Funde aus spätrömischer Zeit sind unübersehbare Zeugen dieses blühenden Lebens. Der Reichtum der katholischen Kirche hatte sich (trotz des Streits mit der donatistischen Kirche) stets vermehrt. Überall waren Kirchen gebaut worden. Es war eine noch friedliche, in sich ruhende Welt, in die nun die Lehre des Pelagius im Gefolge mit den für Afrika unermesslich reichen Flüchtlingen aus Rom einschlug. Ihre riesigen afrikanischen Güter hatten die flüchtigen Familien aus Rom wahrscheinlich seit Menschengedenken nicht mehr betreten. Allein ihr Eintreffen sorgte für Unruhe, sie kündeten von fernen Verwerfungen und Umwälzungen, die früher oder später auch Afrika erreichen könnten.

Der selbstbewusste Klerus von Nordafrika sah seine Welt bedroht und wehrte sich. Augustinus, Bischof von Hippo, war nur einer von ihnen. Dieser Klerus entstammte der Mittelschicht, die in Afrika vergleichsweise wohlhabend geblieben war, und die die Reaktionen der aus Rom kommenden Superreichen auf die Katastrophen ablehnten. Nicht Umkehr und Askese, sondern Bewahrung und Stabilität blieb ihre Hauptsorge. Der Lehre vom freien Willen setzte Augustin die Lehre von der Vorsehung oder Prädestination entgegen: wer die Erlösung und das Heil empfangen und in das Himmelreich eingehen würde, war vorherbestimmt - ebenso wer reich und wer arm sein würde. (Das brachte ihm den Vorwurf ein, ein Anhänger des Manichäismus geblieben zu sein - ein Vorwurf, gegen den er sich sein Leben lang wehren musste.) Augustinus lehrte, dass der Mensch eben keinen freien Willen habe und gar nicht anders könne als zu sündigen. Er sündigt zwangsläufig ("Non posse non peccare"). Nur die Gnade Gottes könne ihn erlösen.

Das hat natürlich gesellschaftliche und politische Konsequenzen. Wo alles vorherbestimmt ist, kann der Mensch wenig dagegen tun. Die Ordnung ist, wie sie ist, gesellschaftliche Mißstände können nur am Rande korrigiert werden. Unermesslicher Reichtum auf der einen, Armut und Unterdrückung auf der anderen Seite sind unabänderlich. Auch der Verzicht auf Reichtum spielte keine Rolle für das Seelenheil. Die Sklaverei, ohne die die riesigen Landgüter Nordafrikas nicht bestehen konnten, hat Augustinus an keiner Stelle grundsätzlich infrage gestellt. Nur die - unrechtmäßige - Versklavung, sei es durch Verkauf, Raub oder Schuldknechtschaft sah er im Einzelfall als kritikwürdig an und versuchte sie zu verhindern oder rückgängig zu machen. Den Ursprung von Reichtum und die Gründe seiner Vermehrung hat er nie hinterfragt. Der Reichtum war ererbt oder eben (wie auch immer) gegeben. Stabilität und deren Wiederherstellung, auch in materiellen Dingen, war ihm wichtig. Die Ordnung der spätrömischen Gesellschaft war für ihn festgefügt und sollte es auch bleiben.

Den Reichtum stellte er in den Dienst der Kirche. Die Reichen sollten ihn - zumindest zum Teil - an die Kirche abgeben, die wiederum damit zugunsten der Armen nach eigenen Vorstellungen verfahren würde. Seine Lehre war: Gebt der Kirche, damit sie Gutes tun kann. Die Reichen sollten die Kirche stützen und deren Güter mehren. Nur über die Kirche als Mittler konnten ihre Schenkungen/Gaben nützlich zur Erreichung ihres Seelenheils sein. In allen seinen Predigten hat er immer wieder eindringlich diesen Punkt angesprochen und hervorgehoben. Im Auge hatte Augustinus das materielle Wohlergehen der Kirche, ihren Reichtum, der zu mehren war, der ihren Einfluss und ihre Macht steigerte. Sie sollte mit den Reichen und Mächtigen gleichziehen, zumindest an sie heranreichen. Darin war Augustins kein Einzelfall sondern ein typischer Vertreter der afrikanischen Kirche.

Es waren mit Augustinus und Pelagius zwei Welten, die nicht nur in Fragen der Theologie hart und unversöhnlich aufeinander prallten. Armut, Askese (und Flucht aus Rom und Italien) auf der einen und Beharren, Stabilität und Mehrung des (auch kirchlichen) Reichtums auf der anderen Seite waren zwei konträre Vorstellungen und Haltungen, die sich in Fragen der Theologie verdichteten: freier Wille oder Vorsehung/Prädestination. Der Streit wurde theologisch ausgetragen, hatte aber ganz konkrete gesellschaftliche und politische Hintergründe. Den Streit haben in der Spätantike Caelestius und Julian von Eclaneum weitergeführt. Bis an sein Lebensende 430 musste sich Augustinus vor allem mit Letzterem herumschlagen. Sein großes Werk "De Civitate Dei" ist das Produkt dieser Auseinandersetzung.

Augustinus und der afrikanische Klerus haben sich schließlich durchgesetzt. Papst Zosimus, der zuvor Pelagius und Caelestus unterstützt hatte, musste auf kaiserliches Geheiß beide 418 exkommunizieren, sie verschwanden aus der Geschichte. Allerdings kam rasch der Verdacht auf, dass der kaiserliche Hof in Ravenna bestochen wurde, (wofür es Anhaltspunkte gibt). Julian von Eclaneum polemisierte gegen Augustinus weiter und bezeichnete ihn u. a. als "Patronus asinorum" (Herr der Esel). Augustinus, der für Stabilität und Konsens, den Fortbestand der römischen Gesellschaft und den weiteren (auch materiellen) Aufstieg der katholischen Kirche als Basis des weströmischen Reiches gekämpft hatte, musste noch in seinem Todesjahr 430 erleben, wie ein Vandalen-Heer seine Bischofsstadt Hippo belagerte. Auch seine heile weströmisch-afrikanische Welt ging unter.

Sprung in die Aktualität

Heute werfen die Finanzkrise von 2007/2008 und die nachfolgenden wirtschaftlichen Verwerfungen dunkle Schatten auf die Zukunft des westlichen, kapitalistischen Wirtschaftssystems. Piketty beschreibt und belegt, warum die Reichen immer reicher werden und die Armen vom vermehrten Wohlstand ausgeschlossen bleiben. Nach einer Untersuchung von Oxfam (Januar 2016) besitzen 62 der reichsten Personen 50 % des globalen Vermögens. Die Entwicklung zur Konzentration des Reichtums in immer weniger Händen geht weiter. Chefs von Banken, Hedge-Fonds und Unternehmen verdienen unvorstellbare Summen und kennen in ihrer Gier keine Grenzen. Erzbischof Reinhard Marx von München will den Kapitalismus überwinden (Kirchentag 2014). Papst Franziskus macht die Armen zur Zielgruppe seines Pontifikats. Bischof Tebartz-van-Elst musste wegen prunkvoller Bauten in Limburg zurücktreten. Die Kritik nimmt kein Ende.

Die Debatte ist nicht neu, die Argumente finden sich im Streit zwischen Augustin und Pelagius. Der Streit steht am Beginn der Geschichte des Abendlandes. Die Krisensymptome unserer Zeit mögen an den Vergleich mit dem Untergang des weströmischen Reiches nicht heranreichen. Die vermummten Gestalten auf der Krim und in der Ostukraine unserer Tage sind (wohl noch) nicht die Barbarenhorden, die das weströmische Reich überfluteten. Eher schon die Flüchtlingsströme aus dem Nahen und Mittleren Osten und Afrika, die nach Europa drängen. Die Selbstgewissheit der 1990er Jahre, die nach dem Untergang der Sowjetunion (Ende der Geschichte) im Westen um sich griff, ist einer allgemeinen Krisenstimmung gewichen: Nährboden für radikales Denken.

Die Spätantike bietet somit weit mehr als nur eine Geschichte von Verfall, Untergang und spitzfindigen theologischen Streitereien. Peter Brown hat das in seinem Werk auf wunderbare Weise aufgezeigt und lebendig gemacht.

Peter Brown, Through the Eye of a Needle. Wealth, the Fall of Rome, and the Making of Christianity in the West, 350 - 550 AD, Princeton University Press 2012, 759 S.; Thomas Piketty, Le Capital au XXI siècle,
Seuil, Paris 2013; Capital in the Twenty-First Century, Harvard University Press 2014; Das Kapital im 21. Jahrhundert , C.H.Beck 2014.

Guntram von Schenck, Mai 2014, aktualisiert Januar 2016


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