Existenzrecht Israel
Guntram von Schenck, im Februar 2007
 
Existenzrecht Israels

 -  Eine politische Bewertung 2007 -

Der Libanonkonflikt  im Sommer 2006 machte schlaglichtartig deutlich, dass das Existenzrecht Israels  60 Jahre nach Staatsgründung in der Region des Nahen und Mittleren Ostens noch immer nicht akzeptiert und gesichert ist. Was kann die deutsche, was kann die Politik des Westens daran ändern?

Ausgangslage

60 Jahre nach Staatsgründung  bleibt Israels Existenzrecht in seiner eigenen Region, im Nahen und Mittleren Osten umstritten. Das unterstreichen jüngste Äußerungen des iranischen Präsidenten Achmadinedjad. Die HAMAS, Wahlgewinner der letzten palästinensischen Wahlen, verweigert Israel die Anerkennung. Auch die diplomatische Anerkennung Israels durch Ägypten und Jordanien sollte nicht zu Illusionen verleiten.  Ein Regimewechsel der ägyptischen Militärdiktatur, der Sturz der Monarchie in Jordanien würden mit hoher Wahrscheinlichkeit  Kräfte an die Macht bringen, die sich mit der Existenz Israels nicht abgefunden haben. Für Syrien, die Mehrheit der Palästinenser, die Schiiten im Libanon (Hisbollah) gilt das ohnehin, auch für einen Großteil der Bevölkerung in der arabischen und wohl auch islamischen Welt. Israels Existenz ist bis heute entscheidend durch Waffengewalt und die Unterstützung des Westens gesichert.

Wie der jüngste Libanonkonflikt  zeigt,  gibt es  kein Naturgesetz, das eine dauerhafte militärische Überlegenheit  garantiert. Asymmetrische Kriegsführung gibt heute auch militär-technologisch unterlegenen Kräften Möglichkeiten, mit Gewalt auf das politische Geschehen einzuwirken. Israel konnte die Hisbollah im Libanon in 4 Wochen nicht in die Knie zwingen, ebenso wenig wie die USA im Irak trotz massivster militärischer Überlegenheit noch nicht gesiegt haben und  es voraussichtlich auch nicht werden.  Allein die Tatsache, dass die Hisbollah so lange Widerstand leisten und bis zum Beginn der Waffenruhe israelische Städte mit Raketen von - noch - kurzer Reichweite  angreifen konnte, lässt sie nicht nur in arabischen Augen als Sieger erscheinen. Die Entwicklung asymmetrischer kriegerischer Auseinandersetzungen wird weitergehen, auch im Nahen Osten, trotz Waffenembargos, Sanktionen, VN-Resolutionen und  Mauerbau.

Mit der Resolution Nr. 1701  zur Waffenruhe verständigte sich der VN-Sicherheitsrat darauf, ein Problem Israels zu lösen und mit der Entwaffnung der Hisbollah und der Entsendung internationaler Truppen in den Südlibanon einen substantiellen Beitrag zur Sicherung der israelischen Nordgrenze zu  leisten. Zur Abwendung einer schweren humanitären Katastrophe im Libanon  musste die Weltgemeinschaft intervenieren. Der ganze Libanon  war ohne Rücksicht auf dessen erst seit kurzem wieder hergestellte und noch immer labile politische Stabilität  zur Geisel genommen worden. Ob  der Sicherheitskorridor effektiv ist, bleibt abzuwarten. Es gibt viele Fragezeichen. Die Weigerung der Hisbollah, die Waffen aus der Hand zu geben, ist nur eines. Die Stabilität der prowestlichen libanesischen Regierung Fuad Siniora ein zweites. Die Lage bleibt labil.

Wahrnehmung  Israels durch seine Nachbarn  im Nahen - und Mittleren Osten

Für die arabischen Nachbarn, aber auch in der islamischen Welt, insbesondere im Iran ist das Palästinenserproblem eine offene Wunde, die sich immer wieder entzündet und heftigste Emotionen freisetzt. Wer je im Nahen Osten gelebt hat, kennt aus den Medien die alltäglichern Bilder vom Leid der Palästinenser. Wenn die Flüchtlingsproblematik nach der Teilung Palästinas 1947 heute an Virulenz verloren zu haben scheint,  so ist es ist die Besatzungs- und Siedlungspolitik Israels in den 1967 von Israel besetzten palästinensischen Gebieten, die in der Region (- und nicht nur dort -) ohnmächtigen Zorn erzeugen: Annexionen (Jerusalem), schleichende Landnahme und Zerstückelung der Palästinensergebiete durch die Okkupation  fruchtbaren Landes  (Siedlungspolitik),  Unterhöhlung der palästinensischen Lebensgrundlagen durch Ableitung  von Wasser nach Israel, Mauerbau - die Liste ist lang. Die permanenten Demütigungen der Palästinenser durch Kontrollen, ihre Vertreibung aus ihren Häusern, die Zerstörung ihrer Ölhaine, Weingärten und Wohnstätten, die Verhaftung  von aus Wahlen hervorgegangener palästinensischer Regierungsmitglieder, die Tötung von mutmaßlichen “Terroristen”  mit Raketen aus der Luft (Hubschrauber) unter Inkaufnahme des Todes Unbeteiligter (sog. Kollateralschäden) tun ein übriges.

Das sehen, hören und lesen die Nachbarn Israels im Nahen und Mittleren Osten tagtäglich seit Jahrzehnten.  Nicht nur in der UNO, auch im Nahen und Mittleren Osten weiß man, dass die israelische Besatzungs- und Siedlungspolitik völkerrechtswidrig ist, dass Israel, angefangen mit der Sicherheitsratsresolution 242, die den Rückzug Israels aus allen besetzten Gebieten, einschließlich Jerusalems fordert, bisher die allermeisten UNO-Resolutionen ignoriert hat - bis hin zum Erwerb von Atomwaffen. Das bleibt nicht ohne Wirkung, zumal es nicht nur Propaganda ist. Aus der Sicht der Anrainer ist Widerstand gegen Israel deshalb legitim und notwendig. Er äußert sich auf verschiedene Weise: Steine werfende Jugendliche, Verweigerung der Kooperation mit Israel, Intifada, Verklärung von Attentätern, die den Tod  nach Israel tragen,  zu “Märtyrern”. Und eben auch das Bestreiten des Existenzrechts Israels, eines Staates, der seinen Nachbarn nach Jahrzehnten  immer noch und immer neues Leid zufügt.

Israels Politik und ihre Folgen

Ein Teil der Reaktion Israels auf die, die sich mit Gewalt wehren, ist deren Brandmarkung als Terroristen. Das gilt insbesondere für die palästinensische HAMAS und die libanesische Hisbollah. Beide Organisationen gäbe es allerdings ohne  Mittun der Israelis gar nicht, jedenfalls nicht in dieser Form. Israel hat die HAMAS in ihren Anfängen gefördert, um eine Konkurrenz zur PLO Arafats aufzubauen und die PLO zu schwächen. Die Hisbollah ist ein Produkt der langjährigen Besatzung des Südlibanon durch Israel. Die Schiiten des Südlibanon  haben die Israelis zu Beginn der israelischen Invasion 1982 als Befreier begrüßt, die die palästinensische PLO vertrieben, die sich im Südlibanon eingenistet hatte. Erst als Folge der israelischen Besatzungspolitik haben sich die Schiiten radikalisiert und die Hisbollah zu einer militärischen Kraft werden lassen, die nach Wahlen auch Abgeordnete im libanesischen Parlament und in der Regierung Minister stellt. Israels entschiedenste Feinde, die sein Existenzrecht in Frage stellen, sind das Produkt seiner eigenen Politik.

Die Klassifizierung des arabischen Widerstands als Terrorismus durch Israel geht in dieser umfassenden Form auf die Politik der USA nach dem 11.Sept. 001 zurück. Der Krieg gegen den Terrorismus, der “war on terror”,  den die Regierung Bush nach dem Attentat auf das World Trade Center ausrief, bot die  Folie, die israelische Politik in ein globales Gesamtkonzept einzuordnen und zumindest gegenüber der Öffentlichkeit des Westens zu erklären und zu rechtfertigen. Wie man sich erinnert, erfolgte diese Um- und Neudeutung auch in Israel erst nach einigem hin und her. Es gibt Probleme: Erstens macht die Pauschalisierung vieler Phänomene  unter den Begriff Terrorismus bzw. dessen Inflationierung realitätsblind, was den Kampf gegen den Terrorismus, dort wo er notwendig ist und auch mit Erfolg geführt werden muss, erschwert oder unmöglich macht. Zweitens gibt es keine allgemein anerkannte Begriffsbestimmung des Terrorismus, denn was für die eine Seite ein “Terrorist” ist, ist für die andere Seite  oft ein “Freiheitskämpfer”.  Terroristen mutieren nach dem Sieg zu Freiheitskämpfern, wie man aus den Anfängen des Staates Israel selbst weiß (Menachem Begin).

Israelische militärische Aktionen, wie gezielte Bombardierungen, Eindringen in den Gazastreifen oder Palästinenserstädte wie Hebron, Invasionen in Nachbarländer, wie den Libanon 1982 und 2006, haben das Problem nicht gelöst. Der Widerstand, den die Israelis und viele westliche Medien nun zum Teil unscharf Terrorismus nennen, konnte nicht gebrochen werden. Er erhebt in verschiedenen Formen und mit anderen Gesichtern immer wieder sein Haupt. Statt der säkularistisch ausgerichteten PLO, in der auch Christen mitarbeiteten, sieht sich Israel jetzt mit der islamistischen HAMAS konfrontiert. Der Islamismus, besser: politische Islam bezieht in seinen verschiedenen, heute nahezu weltweiten Erscheinungsformen ( Pakistan/Afghanistan, Indonesien, Philippinen, Al Quaida-Gruppen in Hamburg, London usw.) aus dem Widerstand gegen Israel und dessen Politik eine seiner Hauptmotivationen. Die Militäraktionen Israels scheinen das Gegenteil von dem zu erreichen, was bezweckt ist: er schafft und provoziert antiisraelische Haltungen und Handlungen bis hin zu Attentaten stets aus neue.

Israel kann sich aus dem Kreislauf von Gewalt, von Terrorismus und Vergeltung, dem was die Gegenseite Staatsterrorismus nennt, nicht befreien. Die Gewaltspirale dreht sich immer weiter. Kritik an Israels Politik entzündet sich vor allem an der Angemessenheit israelischer Reaktionen: zwei entführte israelische Soldaten  lösten jüngst die Zerstörung der Infrastruktur des Nachbarlandes Libanon und den Tod von 1000 unbeteiligten libanesischen Zivilisten aus. Selbst die, die Israels Recht auf Selbstverteidigung ausdrücklich anerkennen, kritisierten die Unverhältnismäßigkeit der Reaktion. Knapp ein Drittel der Menschheit bekennt sich zum Islam, hier kann Israel ohnehin auf wenig Sympathien hoffen. Eine Art neuer Antisemitismus, den es zuvor im Islam nicht gab, mit antiisraelischer Spitze und religiöser Grundierung, setzt sich in der islamischen Welt fest. Bildlich gesprochen gleicht die Gründung Israels einer prekären Organtransplantation, die immer wieder zu Entzündungen und Fieberschüben  führt. Überflüssig zu sagen, dass der alte Antisemitismus in christlichen Ländern, insbesondere in Europa, wieder aufgeladen wird.

Westliche Hilfestellung hat Israels Position in der Region bisher nicht konsolidiert

Seit der Staatsgründung 1948 haben die USA und  andere Staaten des Westens Israel mit unterschiedlichen Akzentuierungen diplomatisch, wirtschaftlich, finanziell und militärisch auf vielfältige Weise nachhaltig unterstützt. Groß ist die Zahl  von Resolutionsentwürfen im VN-Sicherheitsrat, die sich gegen Israel richteten und die von den USA blockiert wurden. Ebenso groß ist die Zahl von Gegenstimmen und Enthaltungen westlicher Staaten in der VN-Vollversammlung bei Abstimmungen, die sich gegen Israel richteten. Das Gewicht des Westens reicht nicht aus, um die Stimmung in den Vereinten Nationen zugunsten Israels umzudrehen. Die Ablehnung der Politik Israels geht weit über den Kreis der näheren arabischen und islamischen Nachbarn hinaus.

In der Region gelang es zwar,  mit dem Camp David-Abkommen 1980 und der diplomatischen Anerkennung Israels durch Ägypten einen Durchbruch zu erzielen. Aber wer Ägypten kennt, weiß wie fragil diese Anerkennung ist. Der Westen stützt das ägyptische Regime, weil es prowestlich ist, obwohl es eine Militärdiktatur ist, in der Menschenrechte und Demokratie sehr klein geschrieben werden. Vor allem aber, weil man Ägypten für den Frieden im Nahen Osten braucht. Halbwegs freie Wahlen brächten eine Mehrheit für Parteien, die den Moslembrüdern nahe stehen, wie Wahlen in ägyptischen Berufsvereinigungen gezeigt haben. (Die Moslembrüder, gegründet in den 20-Jahren des vorigen Jahrhunderts, sind die Urform islamistischer Gruppen im Nahen Osten.) Kippt Ägypten, wird es ganz schwierig für das jordanische Königshaus, die Zurückhaltung gegenüber Israel aufrecht zu erhalten, zumal die Mehrheit der Jordanier palästinensischer Abstammung ist. Leicht ist es jetzt schon nicht. Das prowestliche saudische Königshaus toleriert Israel ohne es formal anzuerkennen, steht aber selbst auf wackligen Füssen. Ein Hinweis muss genügen: fast alle Attentäter des 11.Sept.2001 - und deren Geld - stammten aus Saudi-Arabien.

Die prowestlichen Regierungen und Regime im Nahen Osten, die Israel anerkennen oder seine Existenz tolerieren, stehen unter einem doppelten Druck. Sie müssen die anti-israelischen Volksmeinungen in Schach halten, die bei aufgepeitschten Emotionen ihre Stabilität gefährden könnten. Und sie stehen der Forderung der USA und des Westens gegenüber, ihre Stabilität durch mehr Demokratie und Menschenrechte zu untermauern. Die Forderungen nach demokratischen, stabilen Gesellschaften im Nahen Osten und einer Israel-neutralen oder gar pro-israelischen Haltung in den arabischen Staaten widersprechen sich zumindest in der aktuellen Situation und vermutlich bis auf weiteres. Es ist die Crux westlicher Politik, bei der politischen Stützung Israels in der Region mit Regimen zusammenarbeiten zu müssen, die den einfachsten Anforderungen an Demokratie und Menschenrechten nicht entsprechen, ja nicht genügen können, wenn sie überleben wollen. Einen hoffnungsvollen Ansatz, beides zu verbinden,  hat es im Libanon bis zum jüngsten Konflikt gegeben.

Deutsche Israelpolitik

Die im Verbund mit anderen westlichen Staaten geführte deutsche Israelpolitik zeichnete sich durch eine klare pro-israelische Grundhaltung aus. Wir haben Israel die vergangenen Jahrzehnte diplomatisch, wirtschaftlich und militärisch zum Teil massiv unterstützt. Das gilt auch für Phasen, in denen Deutschland innerhalb der EU mit seiner pro-israelischen Haltung weitgehend isoliert war und die meisten EU-Staaten eine in Bezug auf die arabischen Staaten mehr auf Äquidistanz achtende  Politik verfolgten. Die deutsche Politik blieb selbst dann eindeutig pro-israelisch, wenn in der deutschen Öffentlichkeit  Israel-kritische Stimmen zunahmen und vielleicht sogar ein Übergewicht erlangten. Die deutsche Israelpolitik konnte sich allerdings stets auf einen festen Kern pro-israelischer Stimmen stützen. Der Hinweis auf die die deutsche Vergangenheit und die damit verbundene besondere deutsche Verantwortung waren ein Argument, dem letztlich wenige widersprechen mochten.

Allerdings wird das Ringen um die deutsche öffentliche Meinung zugunsten Israels immer schwieriger. Es ist nicht so sehr der wachsende zeitliche Abstand zur Nazi-Zeit und dem Holocaust, der hier wirkt. Die Schwere und Einmaligkeit der Nazi-Untat  scheint im öffentlichen Bewusstsein in Deutschland in den letzten Jahrzehnten vielmehr gewachsen zu sein. Israel wird vielmehr an seinen eigenen Werten gemessen, die der Demokratie und der Menschenrechte, die mit seiner Besatzungs- Siedlungs- und Antiterrorismuspolitik unvereinbar sind. Die israelische Politik wird als eine der militärischen Stärke, der Expansion, der unverhältnismäßigen Vergeltung wahrgenommen, die im Endergebnis kontraproduktiv ist. In dem Maße, in dem diese Politik leer läuft und erfolglos bleibt, schwindet die breite Unterstützung. Natürlich gibt es auch diejenigen, die nun aufrechnen zu können glauben (Westbank gleich Polen im 2. Weltkrieg), gibt es solche, die sich in ihrem Antisemitismus bestätigt zu sehen glauben. Wir bekommen in Deutschland eine verquere, unerfreuliche Diskussion, besser: wir haben sie bereits, in der von “Moralkeulen” und ähnlichem die Rede ist.

Deutsches außenpolitisches  Interesse

In diesem Kontext verliert das Argument der “historischen Verantwortung” seine Überzeugungs- und Durchschlagskraft. Wir sollten uns deshalb in der deutschen und internationalen Diskussion bei der Begründung unserer Israelpolitik auf das besinnen, was international die einzig gängige und auch anerkannte Grundlage ist: das nationale Interesse. Deutschland hat ein nationales Interesse an der Existenz Israels. Bundeskanzlerin Merkel sprach  in Bezug auf das Existenzrecht Israels sogar von einem Teil der deutschen Staatsraison.  Vom deutschen nationalen Interesse ist hingegen nicht gedeckt, dass Israel mit einer Besatzungs- Siedlungs- und Annexionspolitik die Nachbarn in der Region gegen sich selbst und die Westmächte, die es international unterstützen, aufbringt. Auch der weltweite Islamismus, besser: politische Islam speist sich zu einem nicht geringen Teil aus dem anti-israelischen Affekt. Deutsches nationales Interesse heißt: Wir stehen unverbrüchlich zu einem Israel in den Grenzen vor 1967, nicht weniger, aber auch nicht mehr.                                    

Das wird natürlich keine leichte Diskussion mit den Israelis.  Aber wir haben hervorragende Argumente. Wir wollen, dass Israel in der Region des Nahen und Mittleren Ostens akzeptiert und integriert wird, dass sein Existenzrecht für immer außer Frage steht. Mit der bisherigen Politik ist das nicht geglückt, nun muss man andere Wege gehen. Das bedeutet zwar nicht im Gesamtgeflecht  der deutsch- israelischen Beziehungen den  Abschied von der “historischen Dimension“. Aber in der Außenpolitik müssen wir rational auf der Grundlage klar artikulierter Interessen entscheiden und handeln. Manchem Israeli, auch Deutschen, wird das schwer fallen. Aber die Aufforderung des israelischen Regierungschefs Olmert, Deutschland möge sich an der Friedenstruppe im Libanon an der Grenze zu Israel beteiligen, zeigt im Hinblick auf  historische Belastungen eine neue Unbefangenheit. Kluge Israelis wissen ohnehin, dass nur auf der Grundlage der Akzeptanz des jeweiligen nationalen Interesses zukunftsfähige Politik gedeihen kann. Ein willkommener Nebeneffekt für die Diskussion in Deutschland ist, dass sie sich  auf diese Weise auf eine rationale Grundlage heben und ohne wachsende, irrationale anti-israelische und ggf. antisemitische Untertöne  bestehen lässt.

Rolle der USA

Die USA sind Israels Hauptverbündeter, aus der Sicht Israels der einzige letztlich verlässliche Verbündete. Das Verhältnis zu den europäischen Staaten ist unsicherer und nicht frei von gelegentlichen Irritationen. Historische Erfahrungen spielen eine Rolle - nicht nur in Bezug auf Deutschland,. Das Bemühen der EU, auch die arabischen Interessen zu berücksichtigen, um zu einem tragfähigen Ausgleich im Nahen Osten zu kommen, wird in Israel nicht immer mit Verständnis aufgenommen. Solange man in den USA, der einzigen verbliebenen Supermacht, einen absolut zuverlässigen Rückhalt hat, glaubt man in Israel, international hinreichend abgesichert zu sein. Zusätzliche Verbündete sind willkommen, aber letztlich entbehrlich. Man verprellt sie nicht unnötigerweise, zögert aber auch nicht, sich ggf. über sie hinwegzusetzen. Insoweit ist der Einfluss Deutschlands, ist der Einfluss der europäischen Staaten und der Einfluss der EU, wenn sich die europäischen Staaten auf eine gemeinsame Nahost-Politik verständigen, begrenzt. Aber er ist auch keine “quantité négligeable”.

Seit Adenauer gilt: im Verhältnis zu Israel mussten wir die US-Politik stets mitdenken, wie wir unsere Israel-Politik im Verhältnis zu den USA immer im Blick haben müssen. Ein gutes Verhältnis zu den USA ist ohne positive Positionierung zu Israel undenkbar. Es ist eine Art Dreiecksverhältnis. Wenn wir mit Israel über Nahost-Politik sprechen wollen, tun wir gut daran, uns mit den USA abzustimmen. Die “eine” Adresse in den USA gibt es freilich nicht, genauso wenig wie in Israel. Unterschiedliche Positionen in den US-Administrationen, im US-Kongress, in den israelischen Regierungen und Parteien sind eine Herausforderung an die politische Geschicklichkeit der Gesprächsführung.  Wenn aber die Hauptbotschaft klar und die Argumente gut sind, kann man überzeugen, findet man Gleichgesinnte und Verbündete. Die nach 60 Jahren nicht überwundene, fortbestehende Isolierung Israels im Nahen Osten zwingt dazu.

In den USA ist die entschieden pro-israelische Politik fest verankert, sie wird von vielen gesellschaftlichen Kräften getragen. Jüdische Organisationen üben einen starken Einfluss auf die Politik der USA aus, gegen die der ebenfalls existierende pro-arabische Lobbyismus kaum oder nur geringe Chancen hat. Ein neuer Faktor, die Unterstützung der pro-israelischen US-Politik durch christlich fundamentalistische Gruppen,  ist seit einigen Jahren hinzugetreten. Wie dauerhaft und entscheidend  dieser Einfluss sein wird, ist noch nicht abzuschätzen. Gleichwohl hat es in der Vergangenheit Ansätze der US-Administration gegeben, mit einem besser ausbalancierten Ansatz Einfluss auf eine Friedenslösung im Nahen Osten zu nehmen, indem auch arabische, palästinensische Interessen berücksichtigt wurden und Druck auf Israel ausgeübt wurde.

George Bush senior hat als Präsident während seiner Amtszeit (1993-1996) eine solche Politik verfolgt, ist aber zeitweise von einem pro-israelischen Kongress ausgebremst worden. Präsident Clinton hat bis kurz vor Ende seiner Amtszeit um Ergebnisse im Friedensprozess gerungen. Sein Amtsnachfolger, George W. Bush, junior, hat die Zügel bewusst schleifen lassen. Diese de facto-Politik der freien Hand für Israel  hat zu den jetzt allseits, auch in den USA beklagten Folgen, wie im Libanonkonflikt, beigetragen. Es zeigt sich wieder, dass “ohne” die USA nichts geht, auch wenn zur Zeit “mit” den USA - wegen deren bewusster Zurückhaltung  - leider auch nichts geht.

Es wird darauf ankommen, für die Zeit nach Bush jun. mit den USA die Grundlagen für einen neuen  Anlauf zu legen. Die Chancen stehen nicht schlecht. Die Situation im Irak, möglicherweise sogar in Afghanistan zwingen zu einem Überdenken der Nahost-Politik. Gerade für den arabisch-israelischen Konflikt muss eine Lösung, ein Weg aus der Gewaltspirale hin zu einem allseits akzeptierten Frieden gefunden werden. In den USA gibt es eine heftig geführte Diskussion, ausgelöst von den Politologen John Mearsheimer und Stephen Walt, die auf unterschiedliche Interessen der USA und Israels hinweisen, eine Diskussion, die nicht folgenlos bleiben wird. Wer Israel als einen Vorposten des christlich-jüdischen Westens im Konflikt der Zivilisationen gegen den Islam oder als militärische Basis für eine westliche Dominanz im Nahen Osten begreift,  setzt auf  längere Sicht die Existenz  Israels auf Spiel. Die Sicherung des Existenzrechts Israels bedingt den Rückzug von derartigen Positionen. Wenn die USA ihren Einfluss im Nahen Osten sichern und wiederherstellen wollen, müssen sie wieder glaubwürdig die Führung bei der Lösung des israelisch-arabischen Konflikts übernehmen. Je eher das begriffen und in Politik umgesetzt wird, umso sicherer ist die Existenz Israels

Deutscher Beitrag

Deutsche Politik kann einen Beitrag leisten. Wir haben gute und vielfältige Beziehungen zu nahezu allen gesellschaftlichen Kräften in Israel, wir haben dieselben guten Beziehungen zu den USA. Da die Sicherung des Existenzrechts Israels vorrangiges Ziel deutscher Außenpolitik ist, sollten wir diese Beziehungen jetzt intensiv nutzen, damit  Israel in der Region des Nahen und Mittleren Ostens definitiv in Frieden und Sicherheit leben kann.

Guntram von Schenck:                 Existenzrecht Israels
 


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